Angst vor Angriffen wächst Deutschland trägt Kippa: Gemeinsam gegen Judenfeindlichkeit
Berlin (dpa) - Als Zeichen gegen den Antisemitismus sind in mehreren deutschen Städten Menschen mit der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung, der Kippa, auf die Straße gegangen.
Juden und Nicht-Juden versammelten sich am Mittwoch unter anderem in Berlin, Köln, Erfurt, Magdeburg und Potsdam zu Solidaritätskundgebungen. Der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, warnte davor, den Judenhass in Deutschland kleinzureden. Viele Juden hätten davor Angst, sich öffentlich zu ihrem Glauben zu bekennen.
Anlass für die Demonstrationen war die judenfeindliche Attacke auf einen 21-jährigen Israeli und seinen Freund vor gut einer Woche in Berlin. Drei arabisch sprechende Männer hatten am 17. April den Israeli, der eine Kippa trug, antisemitisch beschimpft. Einer der Männer hatte auf den 21-Jährigen mit einem Gürtel eingeschlagen. Der mutmaßliche Täter, ein Palästinenser aus Syrien, der seit 2015 in Deutschland lebt, sitzt in Untersuchungshaft.
„Berlin trägt Kippa“ - unter diesem Motto versammelten sich nach Polizeiangaben rund 2500 Menschen vor dem Jüdischen Gemeindehaus in Berlin-Charlottenburg. Dort berichtete Zentralratspräsident Schuster von wachsenden Sorgen unter Deutschlands Juden. Eltern trichterten ihren Kindern ein, außerhalb der Synagoge die Kippa abzusetzen oder ein Basecap darüber zu ziehen. „Sie sagen ihrer Tochter in der U-Bahn, sie soll die Kette mit dem Davidstern unterm Pullover verschwinden lassen. Sie verzichten zum 70. Geburtstag von Israel auf das T-Shirt mit Israel-Flagge“, so Schuster.
„Es reicht“, betonte der Zentralratspräsident. Ein „Weiter-so“ dürfe es nicht geben. „Wir haben uns in Deutschland viel zu gemütlich eingerichtet. Ein bisschen Antisemitismus, ein bisschen Rassismus, ein bisschen Islam-Feindlichkeit - ist doch alles nicht so schlimm? Doch, es ist schlimm“, sagte Schuster. „Deshalb fordere ich 100 Prozent Respekt.“ Zuvor hatte Schuster auch ein klares Wort der Muslime gegen den Antisemitismus in den eigenen Reihen verlangt.
„Es ist fünf vor zwölf. Es wird in Berlin langsam ungemütlich. Aber noch haben wir nicht solche Verhältnisse wie in Frankreich oder Belgien“, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte: „Antisemitismus hat in unserer Stadt keinen Platz“. Der CDU-Fraktionsvorsitzende in Bundestag, Volker Kauder, betonte, Deutschland akzeptiere den Antisemitismus nicht. „Diejenigen, die hier leben wollen, müssen das auch wissen.“
„Hier zu sein, ist für mich eine gute Sache“, sagte Till Jehoshua, ein Demonstrationsteilnehmer in Berlin. Er sei schon mehrmals angegriffen worden, weil er eine Kippa getragen habe. „Das darf nicht zur Regel werden in Deutschland.“ Auch viele Frauen hatten sich eine Kippa aufgesetzt. „Ich will zeigen, dass jeder in Berlin frei leben sollte - egal welcher Couleur“, sagte Doro Faxel vor dem Gemeindezentrum.
Eine kleinere Demonstration gegen Antisemitismus in Berlin-Neukölln wurde abgebrochen, weil sich die Teilnehmer durch Passanten bedroht fühlten. Einer der Störer entriss einem Demonstranten eine Israel-Fahne. In der Gegend um den Hermannplatz leben viele arabischstämmige Menschen.
Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA), der das Video vom Angriff auf den Israeli in Berlin ins Internet gestellt hatte, rief die Juden auf, sich gerade jetzt zu bekennen - auch bei drohenden Anfeindungen. „Wir müssen diese Gefahr auf uns nehmen. Sonst geben wir den öffentlich Raum auf“, sagte JFDA-Geschäftsführer Levi Salomon.
Er bedauerte, dass immer erst jüdische Organisationen aktiv werden müssten, damit nach einem Vorfall die Öffentlichkeit reagiert. „Juden rufen zur Solidarität mit sich selber auf - das ist nicht Sinn der Sache.“ Der Antisemitismus müsse ein gesamtgesellschaftliches Thema werden.
Der Berliner Imam Kadir Sanci, der dem geplanten Lehr- und Gebetshaus von Muslimen, Christen und Juden „House of One“ angehört, begrüßte die Solidaritätskundgebungen mit der Kippa. „Den Kopf zu bedecken ist auch Teil unserer islamischen Tradition“, sagte Sanci. „Wir, das Judentum und der Islam, haben so viel gemeinsam“, erklärte er.
Angefacht wurde die Debatte zudem von einer Auszeichnung der Rapper Kollegah und Farid Bang. Die beiden wurden für ein als judenfeindlich kritisiertes Album mit dem Echo-Musikpreis geehrt, worauf etliche andere Künstler ankündigten, ihre Trophäen zurückzugeben. Am Mittwoch teilte der Bundesverband Musikindustrie mit, dass der Echo abgeschafft wird.