Meinung: Söders feindliche Übernahme eines christlichen Symbols

Es wäre eine dem Selbstverständnis des Christentums und der christlichen Kirchen zuwiderlaufende Profanisierung des Kreuzes, wenn man es als bloßen Ausdruck abendländischer Tradition oder als kultisches Zeichen ohne spezifischen Glaubensbezug ansehen wollte.“ Das ist keine Reaktion eines wütenden Kirchenvertreters auf die Entscheidung des bayerischen Kabinetts vom Dienstag, Kreuze für alle öffentlichen Gebäude im Freistaat vorzuschreiben.

Markus Söder, Bayerischer Ministerpräsident (CSU), hängt ein Kreuz im Eingangsbereich der bayerischen Staatskanzlei auf.

Foto: Peter Kneffel

So formulierte es der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 16. Mai 1995, der in der Folge als Kruzifix-Urteil für helle Empörung sorgte — weil er in der Konsequenz die pauschal angeordnete Anbringung eines Kreuzes in Klassenräumen staatlicher Pflichtschulen als unvereinbar mit dem Grundgesetz einstufte.

Foto: Sergej Lepke

Die Bayern haben sich um die Karlsruher Entscheidung nie wirklich geschert. Ein neues Gesetz schrieb die Kreuze in den Schulen wieder im Grundsatz vor, ergänzt um eine Regelung für Konfliktfälle, die unter bestimmten Umständen auch das Abhängen zur Folge haben könnte. Gegriffen hat sie nur selten, die Kreuze hängen bis heute.

23 Jahre später dreht der neue Ministerpräsident Markus Söder das alte Rad weiter und degradiert das Kreuz dabei kaltschnäuzig zum Mitgliedsabzeichen bayerischer Kulturfolklore. „Das Kreuz ist nicht ein Zeichen einer Religion“ — schamloser hat noch kein Politiker die feindliche Übernahme des christlichen Kernsymbols betrieben, um damit bauernschlau das staatliche Neutralitätsgebot in Religionsfragen zu umgehen.

Dem Protestanten Söder ist ob dieser Gotteslästerung ein veritables katholisches Fegefeuer zur Läuterung zu wünschen. Dem Politiker Söder wäre ob seines wahlkampfgetriebenen Missbrauchs des Kreuzes zum Instrument der Abgrenzung ein Sturmlauf der Entrüstung zu wünschen, wie ihn vor 23 Jahren die Verfassungsrichter ereilte.

Das zumindest teilweise zu vernehmende diplomatische Gesäusel der Kirchen als Reaktion auf die bayerische Entscheidung ist in dieser Hinsicht so enttäuschend wie peinlich. Wer sich diese klebrige Umarmungsstrategie noch als Chance zur Wertediskussion und begrüßenswertes öffentliches Bekenntnis schönredet, verabschiedet sich endgültig in die Konturenlosigkeit. Das kann man dem Kreuz nicht nachsagen. Es steht für Gottes Mitleiden in der Welt und sein Versprechen der Erlösung. Und nicht für ein Votum in der bayerischen Wahlkabine.