Bilanz Bilanz: So war der Präsident

Berlin. Joachim Gauck wird nicht wieder für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren. Das hat er gestern verkündet. In seiner Amtszeit hat der gebürtige Rostocker Spuren hinterlassen.

Bundespräsident Joachim Gauck tritt nicht zu einer zweiten Amtszeit an.

Foto: Britta Pedersen

Eine Bilanz.

Sein Amtsverständnis. In seiner Funktion sah sich Gauck stets als überparteilich und als Ermutiger der Menschen. Im Laufe der letzten vier Jahre hatte er durchaus gelernt, sich politisch geschickter zu positionieren, ohne Neben-Regierungspolitik zu machen. Das war ihm vorher nicht zugetraut worden. Anfangs mischte sich Gauck viel ein, trat in manches Fettnäpfchen. Er wollte für Unruhe sorgen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Das Land befindet sich ohnehin in Aufregung wegen der Flüchtlingskrise und dem Erstarken der Rechtspopulisten. Er selbst hat zuletzt das veränderte gesellschaftliche Klima bei seinen Auftritten zu spüren bekommen, auch er erlebte Anfeindungen. Sein Alter hat für ihn nun gegen eine zweite Amtszeit gesprochen.

Seine Reden. Anfänglich kämpfte er mit denselben Schwierigkeiten wie die meisten seiner Vorgänger: seine Reden verhallten, blieben weitgehend ohne öffentliche Resonanz. Das Jahr 2014 markierte freilich den Wendepunkt. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz hielt er ein Plädoyer für eine verantwortungsvollere Rolle Deutschlands in der Welt, notfalls auch mit militärischen Mitteln. Diese Rede wurde zu seiner politischsten, und sie wurde am stärksten diskutiert. In der Flüchtlingskrise setzte Gauck auf ein Sowohl-Als-Auch: "Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich", sagte er. Ein Satz, den jeder unterschreiben konnte - und sollte. Der 76-Jährige nahm zuletzt deutlich mehr Rücksicht auf die öffentliche Stimmung.

Gaucks Verhältnis zur Kanzlerin. Im ersten Jahr seiner Amtszeit ereilte ihn des Öfteren ein Anruf aus dem Kanzleramt mit der Frage, wie er denn Dieses oder Jenes gemeint habe. Gauck musste erst lernen, sich nicht arglos mit Angela Merkel und ihrer Politik anzulegen. Merkel hat immer um Gaucks Eigensinn gewusst, weshalb sie ihn eigentlich nicht als Präsidenten wollte. Beide verband zuletzt ein gut funktionierendes Arbeitsverhältnis, man traf sich regelmäßig. Die Kanzlerin achtete zudem darauf, dass aus ihrem Umfeld möglichst keinerlei Reaktionen auf Gaucks Positionierungen nach außen drangen. Sie wollte keine Konflikte schüren. Nun geht für sie die Suche nach einem neuen Kandidaten für Schloss Bellevue los. Ein schwieriges Unterfangen.

Gaucks Stärken. Eine der Stärken des Ostdeutschen war, mit klugen Sätzen und Gedanken selbstständig Akzente zu setzen. Man hörte ihm gerne zu. Gauck beeindruckte seine Gesprächspartner stets mit einem riesigen Vorrat an Wissen. Er war bürgernah, herzlich und offen gegenüber seinen Mitmenschen. Wie gelernte Pfarrer so sind.

Seine Schwächen. Gauck galt immer als eitel, das konnte er auch nicht verbergen. Das machte ihn manchmal sogar politisch unvorsichtig. Wie bei seiner Israel-Reise, als er sich im Überschwang überraschend von Merkels Versprechen distanzierte, die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson. Wer mit ihm unterwegs war, merkte zudem schnell, dass er ein Meister der Rührung sein konnte; von sich selbst und seinem Amt wirkte er oft überwältigt. Mehrere Reden Gaucks in kurzen Abständen hintereinander, das konnte zur Strapaze werden. Etwas schusselig war Gauck schon immer. Ohnehin hat er einen Hang zur chaotischen Unordnung, ab und an kommt auch eine gewisse Lebensuntüchtigkeit bei der Bewältigung ganz praktischer Dinge durch. Im Amt des Präsidenten dürfte sich das nicht gerade verbessert haben.