Das Ende ist längst nicht absehbar Colonia Dignidad: Bleibt Ex-Sektenarzt Hartmut Hopp unbehelligt?

Der Krefelder Hartmut Hopp von der Colonia Dignidad ist trotz des Strafurteils weiter in Freiheit. Menschenrechtler sind empört, ein Staatsanwalt erklärt die Verfahrensdauer.

Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Nachdem unsere Zeitung am vergangenen Samstag ein Interview mit Hartmut Hopp, dem früheren Sektenarzt der berüchtigten Colonia Dignidad in Chile, veröffentlicht hatte, erreichten uns verbitterte Leseranfragen: Und das lässt die deutsche Justiz so lange laufen? Hopp war schon 2011 in Chile zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden, flüchtete aus Südamerika und lebt seither unbehelligt in Krefeld.

Diese Verbitterung teilt auch Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des Menschenrechtsverbands „European Center for Constitutional and Human Rights“ (ECCHR). Der ECCHR hatte bereits im Jahr 2011 Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Krefeld gestellt. Jurist Kaleck sagt: „Der erste Skandal ist, dass die Staatsanwaltschaft Bonn seit den 1980er Jahren auf Aktenbergen gesessen und nichts unternommen hat. „So konnte in der Colonia Dignidad die Gruppe um Sektenführer Paul Schäfer und Sektenarzt Hartmut Hopp unzählige Kinder vergewaltigen und Kritiker der Pinochet-Diktatur foltern — unbeeinträchtigt von der deutschen Justiz.“ Auch im Fall Hopp habe die deutsche Justiz zunächst gesagt, dass sie in der Sache nicht aktiv werden könne. Das habe sich erst durch die Strafanzeige des ECCHR im August 2011 geändert.

Kaleck fährt verbittert fort: „Der zweite Skandal ist, dass nun das Verfahren der Vollstreckung des chilenischen Haft-Urteils in Deutschland schon wieder so viele Jahre dauert.“ Das sei auch ein Schlag ins Gesicht der chilenischen Justiz. Chile sei schon lange keine Diktatur mehr und auch kein „failed state“ (gescheiterter Staat, der seine grundlegenden Funktionen nicht erfüllt). Kaleck: „Es geht um Gerechtigkeit gegenüber den Opfern. Und auch um den Ruf der nordrhein-westfälischen Justiz, die nach dem früheren Versagen doch spätestens jetzt das Verfahren gegen Hopp, aber auch weitere Ermittlungen im Zusammenhang mit den Verbrechen der Colonia Dignidad, schnellstens vorantreiben müsste.“ Deutschland könne so nicht nur den Opfern sexueller Misshandlung zu ihrem Recht verhelfen, sondern auch dazu beitragen, die Diktaturverbrechen in Chile juristisch aufzuarbeiten.

Und was sagt die so gescholtene Justiz zu dem zähen Verfahrensgang? Der Krefelder Oberstaatsanwalt Axel Stahl verweist darauf, dass der Fall Hartmut Hopp zwei Verfahrensstränge habe. Da seien zum einen die von der deutschen Justiz selbst geführten Ermittlungen. Und zum anderen das sogenannte Exequaturverfahren (s. Infokasten).

Stahl betont, dass es in dem seit 2011 geführten Ermittlungsverfahren gegen Hopp bis Ende 2012 Beweiserhebungen, unter anderem Zeugenvernehmungen, gegeben habe. Dabei ging es um Vorwürfe der Beihilfe zu sexuellem Missbrauch, um nicht indizierte Verabreichung von Psychopharmaka und um den Vorwurf, am Verschwindenlassen und der mutmaßlichen Tötung in der Zeit des Pinochet-Regimes beteiligt gewesen zu sein.

Im April 2013 habe man diesbezüglich Rechtshilfeersuchen an die chilenische Behörden gestellt, die aber von diesen bis heute nicht beantworten seien. Man habe nur teilweise Auszüge aus Verfahrens- akten bekommen.

Mit Blick auf eine Vollstreckung des in Chile gegen Hopp verhängten Urteils in Deutschland sagt Stahl: Nachdem das Urteil 2013 rechtskräftig geworden war, habe Chile Ende 2014 erneut an die Bundesregierung ein Auslieferungsersuchen zur Strafvollstreckung gestellt. Dieses Ersuchen sei wegen Artikel 16 Grundgesetz („Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden.“) abgelehnt worden. Mitte 2015 sei dann die Vollstreckungsübernahme durch Deutschland vereinbart worden.

Die Prüfung habe auch schon bei der Staatsanwaltschaft etwa ein Jahr in Anspruch genommen, weil die ins Deutsche übersetzten Urteilsunterlagen 1000 Seiten dick seien. Auch habe man sich detailliert mit dem Standpunkt der Verteidigung auseinandersetzen müssen. Diese argumentiert, dass das Verfahren in Chile nicht rechtsstaatlich verlaufen sei.

Diesen Standpunkt hatte die Staatsanwaltschaft Krefeld nicht geteilt. Das chilenische Urteil habe sehr wohl rechtsstaatlichen Mindeststandards entsprochen. Deshalb hatten die Ermittler im Juni 2016 beim Landgericht Krefeld beantragt, die in Chile verhängte Strafe gegen Hartmut Hopp für zulässig zu erklären. Ob auch das Landgericht Krefeld zu diesem Ergebnis kommt, ist offen. Auch die Richter müssen sich mit eben den Einwendungen auseinandersetzen, die auch schon die Staatsanwaltschaft so lange beschäftigt hatten.

Und wie lange wird das wieder dauern? Gerichtssprecher Christopher Wietz verweist darauf, dass „die Verfahrensdauer leider nicht absehbar ist“. Aufgrund des Umfangs der Sache und vielen anderen anhängigen Verfahren, die zeitgleich geführt werden müssen, nehme die Bearbeitung eine gewisse Zeit in Anspruch. „Jede Schätzung wäre Spekulation.“

In nächster Zeit, so sieht es aus, muss Hopp also wohl nicht damit rechnen, die in Chile verhängte Strafe absitzen zu müssen. Der 72-Jährige bleibt ein freier Mann. Muss er einfach nur weitere Jahre abwarten — vielleicht gar bis zu einer Verjährung? Auf Nachfrage versichert Oberstaatsanwalt Stahl, dass eine Verjährung auf absehbare Zeit nicht drohe.

Hopp in Untersuchungshaft zu nehmen, hat laut Stahl nie ernsthaft zur Debatte gestanden. Es bestehe keine Fluchtgefahr. „Wo soll er denn hin?“, fragt der Strafverfolger. Schon das Einkaufen in Venlo könnte für ihn gefährlich sein, da dort der Schutz des Artikels 16 Grundgesetz (Auslieferungsverbot) nicht gilt.

Menschenrechtsanwalt Kaleck sieht die Frage der U-Haft anders: „Wir sehen eine Fluchtgefahr, immerhin ist er bereits vor der chilenischen Justiz erfolgreich geflüchtet.“