„Dänemark beweist, dass es funktioniert“

Gefühlsmäßig unterstützen viele Schotten den Wunsch nach einer Abspaltung. Bei wirtschaftlichen Fragen ist die Bevölkerung dagegen gespalten. Im Interview erklärt die stellvertretende schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon (45), warum sie die Ängste für übertrieben hält.

Foto: Steve Przybilla

Warum kämpfen Sie für ein unabhängiges Schottland?
Nicola Sturgeon: Es ist immer besser, wenn Entscheidungen nicht von Politikern getroffen werden, die 600 Meilen entfernt sitzen. Nur ein Beispiel: Die Regierung in Westminister steckt Milliarden in ihre Atombomben, die auf schottischem Gebiet gelagert werden. Dieses Geld sollten wir besser nutzen, um Menschen aus der Armut zu holen. Wir haben hier eine einmalige Chance.

Reicht die schottische Wirtschaftskraft dafür überhaupt aus?
Sturgeon:
Definitiv. Die schottische Wirtschaft steht für Innovationskraft — immerhin wurde hier das legendäre Computerspiel GTA entwickelt (lacht). Aber im Ernst: Ein unabhängiges Schottland wäre unter den reichsten Ländern der Welt auf Platz 14. Schweden, Dänemark und Norwegen sind flächenmäßig auch klein, beweisen aber, dass es funktioniert.

Wenn die Öl-Quellen vor der Küste versiegen, wird es aber schwieriger…
Sturgeon: Das Öl ist ein netter Bonus, aber nicht das Fundament unserer Wirtschaft. In Schottland gibt es traditionell eine starke Lebensmittel-, Whisky-, Maschinenbau- und Tourismusindustrie. Nicht zu vergessen die erneuerbaren Energien: Wir können 25 Prozent des europäischen Bedarfs an Offshore-Windkraft decken.

Was passiert, wenn England wie angekündigt eine Währungsunion ablehnt?
Sturgeon: Damit würde sich England ins eigene Fleisch schneiden. Wir sind Englands größter Handelspartner, wodurch beide Seiten von einer gemeinsamen Währung profitieren. Außerdem ist der Pfund eine international gehandelte Währung. Jedes Land kann selbst entscheiden, ob sie ihn einführt oder nicht. Ihr Land ist tief gespalten.

Wie wollen Sie nach der Abstimmung die Gräben überwinden?
Sturgeon: Wenn man in sozialen Netzwerken unterwegs ist, kann man tatsächlich den Eindruck bekommen, dass es unüberwindbare Gräben gibt. Am 19. September, dem Tag nach der Wahl, wird es aber keine Ja- oder Nein-Fraktion mehr geben, sondern eine Entscheidung — und die werden akzeptieren.

Und wenn die Mehrheit mit Nein stimmt?
Sturgeon: Auch dann. Nur muss allen klar sein, was das bedeutet: Schon bald könnte in London die nächste Regierung an der Macht sein, die wir nicht wollen. Die nächste Sparrunde käme mit Sicherheit, unser Gesundheitssystem würde weiter privatisiert. Und natürlich hätten die Briten auch weiterhin das Recht, das schottische Regionalparlament aufzulösen — wie damals in Nordirland.