Junge Aktivisten Der Greta-Effekt oder - Wie lange hält der Protest?

Stockholm · Fürs Klima, gegen Waffen, gegen Plastik: Vielerorts kämpfen junge Aktivisten wie Greta Thunberg für eine bessere Welt. Durch das Netz sind sie verbunden. Fragt sich nur, ob ihre Aktionen Bestand haben.

Greta Thunberg in Stockholm: Die 16-jährige Schwedin wurde beinahe über Nacht zur Ikone des Klimaschutzes.

Foto: dpa/Steffen Trumpf

Neben der Klimaschutz-Ikone Greta stehen höchstens drei Dutzend Mitstreiter im Schnee von Stockholm. Die langen Mädchenzöpfe, die in Porträts so oft beschrieben wurden, sind unter einer doppelten Lage Wollmützen und einem Schal verborgen. Greta Thunberg, 16 Jahre alt und der aktuelle Star in einer Reihe junger Polit-Aktivisten, steht wieder vor dem Parlament. Es ist Freitag – ihr Tag. Sie will erreichen, dass sich Schweden, besser noch die Politik weltweit, stärker einsetzt gegen das Aufheizen der Erde. Mit diesem Appell wurde sie zur UN-Klimakonferenz ins polnische Kattowitz (Katowice) und zum Weltwirtschaftsforum nach Davos in die Schweiz eingeladen.

Im August, nachdem der Dürre-Sommer auch ihr Land ächzen ließ, hatte sie losgelegt mit den Protesten. Inzwischen schwänzen nach ihrem Vorbild international Zehntausende Mädchen und Jungen die Schule und gehen bei Großdemos für die Umwelt auf die Straße. Die verbindenden Losungen lauten #FridaysForFuture (Freitage für die Zukunft) und #YouthForClimate (Jugend fürs Klima).

Gretas Aktion zwischen Reichstag und Schloss der schwedischen Hauptstadt wirkt an diesem Wintertag eher mini. Besonders im Vergleich zu den Demos in anderen Ländern Europas. Selbst in deutschen Kleinstädten kommen inzwischen mehr junge Leute zu Schulstreiks fürs Klima zusammen als hier, wo alles anfing.

Am Anfang saß sie noch ganz allein da

„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum das gerade unter Jugendlichen in Belgien, Deutschland, Australien und Kanada so groß geworden ist“, sagt die 16-Jährige, die kaum über 1,50 Meter groß ist. Sie spricht leise und sieht noch jünger aus, als sie ist. „In Schweden ist es nicht so groß geworden, das ist seltsam.“ Sie sieht es trotzdem positiv: „Am ersten Tag saß ich ganz alleine hier.“ Seit dem zweiten Tag seien schon ein paar Leute dazukommen. Aber in der Schule, sagt sie, wüssten die meisten vielleicht gar nicht, was sie da tue.

Greta ist in weniger als einem halben Jahr zur Vorreiterin geworden. Doch von was eigentlich? Von einer neuen weltweiten Jugendbewegung? Sie gilt als europäisches Gesicht eines Aufbruchs ihrer Generation. Doch können die so angestoßenen Demonstrationen gar, wie „Die Zeit“ andeutet, in eine „globale gesellschaftliche Bewegung“ münden, die 2019 zum Wendepunkt fürs Klima macht?

Fakt ist, dass verschiedene junge Menschen gerade sehr schnell zu politischen Symbolfiguren wurden. In den USA etwa erhob Emma González 2018 spektakulär ihre Stimme gegen Politiker und die einflussreiche Waffenlobby. Sie und andere junge Menschen initiierten nach dem Schulmassaker von Parkland (Florida) vom Februar Massenproteste.

Manche Jung-Aktivisten sind bereits weit gekommen: Die pakistanische Kinderrechtsvorkämpferin Malala Yousafzai erhielt schon mit 17 den Friedensnobelpreis. Heute, 21 Jahre alt, engagiert sie sich bei den Vereinten Nationen.

„Es gibt eine politische Mobilisierung bei den jungen Menschen in den letzten Jahren, die ist bemerkenswert“, stellt Martina Gille vom Deutschen Jugendinstitut in München fest. Allerdings sei das wachsende Politik-Interesse auch bei Erwachsenen zu beobachten, sagt die Sozialforscherin. Der Trend gehe also in die gleiche Richtung. „Auch früher haben junge Leute schon protestiert, etwa gegen neue Atomwaffen in Europa, Waldsterben oder AKWs“, sagt der Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg, Professor Ulrich Reinhardt. „Natürlich spielt auch das Happening als solches für die junge Generation eine Rolle: Man ist mit anderen bei einer Aktion – und dieses ist für viele attraktiver, als zur Schule gehen“, sagt er. „Nichtsdestotrotz haben wir jetzt eine Generation, die politisch interessierter ist als noch die Generation davor.“

Doch wie entsteht auf der Basis von Politik-Interesse eine Vorreiterin? Was macht den Greta-Effekt aus? Sicher gehören klare Aussagen und persönliche Betroffenheit dazu: In Kattowitz 2018 und Anfang 2019 in der Schweiz erklärte Greta der Welt die Dringlichkeit der Klimakrise. „Erwachsene sagen immer wieder: Wir sind es den jungen Leuten schuldig, ihnen Hoffnung zu geben. Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will, dass ihr in Panik geratet“, sagte sie in Davos. „Ich will, dass ihr handelt, als wenn euer Haus brennt, denn das tut es.“

Zum anderen nutzt die junge Schwedin ein Werkzeug, das frühere Generationen nicht hatten: das Internet. Die 16-Jährige weiß, dass sie mit ihrem Protest in den Sozialen Netzwerken Ländergrenzen spielend überspringt. Auf Twitter folgen ihr knapp 160 000 Menschen, auf Instagram mehr als 250 000. Jugendliche schließen sich über die Kontinente hinweg online zusammen und streiken, von Europa bis Australien. Einen gemeinsamen Protestort braucht es dafür nicht.

Anti-Kohle-Protest mit Puppe und Grillschale

Mit acht Jahren hatte die Schwedin vom Problem des Klimawandels gehört. Das Mädchen, bei dem später das Asperger-Syndrom festgestellt wurde, war schockiert. Warum kämpft die Menschheit nicht stärker ums Überleben? Als Autistin, sagt sie, sehe sie die Sache nur Schwarz-Weiß, Zwischentöne gebe es beim Überleben nicht. Und sie fragte sich, warum Kinder und Jugendliche nicht wählen dürfen, obwohl die Klimaerwärmung gerade ihre Generation voll treffen werde. Berühmt ist Sarah Hadj Ammar, Studentin der Biomedizin im ersten Semester, nicht. Aber aktiv: zum Beispiel seit acht Jahren bei Plant-for-the-Planet. Und seit der Gründung 2018 im Jugendrat der Generationen Stiftung, die sich als überparteiliche Interessenvertretung künftiger Generationen versteht. Die 19-Jährige aus Würzburg ist nach Berlin gekommen, um an diesem Januar-Freitag vor dem Kanzleramt zu demonstrieren: gegen die Kohle und für den Stopp der Erderwärmung.

Vor dem Plakat mit der Aufschrift „Ihr verheizt unsere Zukunft“ haben die jungen Leute eine Grillschale aufgebaut. Darüber hängen sie eine menschliche Puppe. Als der Zug der Schülerdemo, die parallel läuft, anmarschiert kommt, zünden sie das Feuer an. „Wir hatten eine Menge Spaß“, sagt die Studentin hinterher. Aber: „Wenn ich an unsere Zukunft denke, dann habe ich Angst.“ Grundsätzlich spürt auch Sarah Hadj Ammar so etwas wie einen Aufbruch: „In den vergangenen ein bis zwei Jahren hat sich etwas verändert an der Stimmung unter jungen Leuten.“ Und sie ergänzt: „Dass viele noch zu jung zum Wählen sind, heißt nicht, dass sie keine Meinungen haben und keine Hoffnungen.“

Ein neues Gefühl der Nähe entsteht

„Die junge Generation spricht mit einer Stimme, und das global“, sagt Professor Reinhardt. Ähnlich wie Forscherin Gille vom Jugendinstitut vermutet er, dass sich die Teilnehmer der Protestwellen über die Grenzen hinweg recht ähnlich sind, was Bildung und sozialen Hintergrund angehe – auch wenn es noch zu früh für Zahlen sei. Und dass die Unterschiede zwischen armen und reichen Stadtteilen in Deutschland größer sein könnten als zwischen Mittelstandskindern in Metropolen weltweit.

„Die jungen Leute, die sich jetzt besonders einsetzen, ob aus den USA, Spanien, England oder Deutschland, sind sehr gut miteinander vergleichbar. Entsprechend sind die Unterschiede innerhalb der Länder größer als zwischen den Ländern“, meint Ulrich Reinhardt. Gefragt, wie lange sich der Jugendprotest aufrechterhalten lässt, bleibt Sarah Hadj Ammar vorsichtig: „Ich hoffe, es wird zum Beispiel auch nach drei Jahren etwas übrig bleiben von unseren Ideen, unseren Werten, auch wenn wir nicht ständig so aktiv weitermachen können.“„Ob die Schülerproteste zu einer nachhaltigen Politisierung der jungen Generation führen, kann ich noch nicht sagen“, schränkt auch Jugendforscherin Gille ein. „Da muss man einfach etwas länger abwarten.“

Ein Plastik-Sammler sorgt für Furore

Dass junge Vorreiter Mut und einen langen Atem brauchen, weiß auch der Niederländer Boyan Slat. Er hat als Plastik-Sammler weltweit für Furore gesorgt. Seit er als Schüler beim Tauchen in Griechenland von einer großen Menge Plastik im Wasser erschreckt wurde, lässt ihn dieses Umweltthema nicht los. Zu Hause entwarf er als Projekt für die Schule einen Apparat, um den Müll abzufischen.

Heute ist der 24-Jährige der Gründer des Unternehmens The Ocean Cleanup. Mit einer langen Röhre in U-Form will er den Plastikmüll im Pazifik einsammeln. Nach dem Start aus der Bucht von San Francisco gab es allerdings Probleme und zum Jahreswechsel ein vorläufiges Aus für den Müllfänger. Er wird nun an Land technisch angepasst.

Trotzdem gibt Boyan Slat nicht auf: Wenn ihm jemand sagt, etwas ist auf jeden Fall unmöglich, dann werde er misstrauisch. „Die Geschichte ist voller Dinge, die einmal als unmöglich galten und dann doch getan wurden.“