DGB zeigt der Linken die Rote Karte

DGB-Chef Michael Sommer will verhindern, dass die Gewerkschaften gespalten werden.

<strong>Wuppertal. DGB-Chef Michael Sommer hat vor einer Spaltung der Gewerkschaften in Deutschland gewarnt. Mit Blick auf die Linkspartei sagte er in einem Interview mit unserer Zeitung: "Wir wollen nicht zulassen, dass die Gewerkschaften zum Tummelplatz parteipolitischer Auseinandersetzungen werden." Herr Sommer, wollten Sie als Kind auch Lokomotivführer werden?Sommer: Ehrlich gesagt, nein. Wenn ich an die Augsburger Puppenkiste denke, da haben mir die Seebären besser gefallen als Lukas.Was haben Sie denn gegen Lokomotivführer?Sommer: Gar nichts. Bei der Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer (GDL) ist aber ein anderer Eindruck entstanden.Sommer: Das glaube ich nicht. Als es um die Frage ging, ob die Lokführer in der GDL ihre Tarifautonomie wahrnehmen können oder nicht, hat sich der DGB mit ihnen solidarisch gezeigt. Sie sprechen das Urteil des Nürnberger Arbeitsgerichts an, das den Lokführer-Streik zunächst mit dem Argument untersagt hatte, der volkswirtschaftliche Schaden wäre enorm.Sommer: Wenn das Bestand gehabt hätte, wäre das Streikrecht praktisch zur Nullnummer erklärt worden. Jeder Streik hat Auswirkungen auf die Volkswirtschaft. Da mussten wir als DGB klar Stellung beziehen. Hat sich die GDL bedankt?Sommer: Ich habe kein Dankes-Telegramm erhalten. Das hatte ich aber auch nicht erwartet. Ob bei der Telekom oder bei der Bahn gestreikt wird: Bei solchen Infrastruktur-Unternehmen sind die Bürger immer in besonderem Maße betroffen. Wann wird aus einem Streik Sabotage?Sommer: Ich bin seit 1980 hauptamtlicher Gewerkschafter. Ich kann mich an keine einzige Tarifauseinandersetzung erinnern, bei der nicht gleichzeitig der Untergang des Abendlandes heraufbeschworen wurde. Das Abendland steht immer noch. Es gibt bei deutschen Gewerkschaften eine Tradition, und zu der stehe ich: Wir streiken uns nicht unsere eigenen Arbeitsplätze kaputt. Und wir machen keine Sabotage. Wenn wir streiken, dann tun wir das hart, aber anständig. Die Lokführer waren auf dem besten Weg, diese Linie zu verlassen.Sommer: Nun lassen Sie mal die Kirche im Dorf. Tatsächlich wurden bislang nur zwei S-Bahnen lahmgelegt. Allerdings: Wir halten nichts von Aktionen, die entsolidarisieren. Die Forderung der GDL nach einem eigenen Tarifvertrag und 30 Prozent mehr Lohn hatte von Anfang an genau diese Wirkung. Am Ende führt das dazu, dass sich Teile der Belegschaft gegeneinander ausspielen lassen. Sie sitzen als DGB-Chef zwischen den Stühlen. Einerseits müssen Sie die Interessen der Lokführer sehen, die wirklich nicht zu den Gutverdienern gehören. Andererseits liegt Ihnen viel an der Tarifeinheit. Warum gelingt es den großen Gewerkschaften nicht, Gruppen mit hohem Druckpotenzial wie Lokführer, Ärzte und Piloten in ihre Organisationen einzubinden?Sommer: In 99 Prozent der Fälle gelingt es uns ja. Es gibt in jedem Unternehmen Spezialisten, die eine besondere Stellung im Arbeitsprozess einnehmen. Bis auf wenige Ausnahmen ist es uns gelungen, die Interessen der Arbeitnehmer in den Tarifauseinandersetzungen zu bündeln. Bei den Lokführern sieht es in der Tat anders aus. Aber das ist nicht typisch für die deutsche Tariflandschaft - noch nicht. Sollte sich die Union allerdings eines Tages mit ihren betrieblichen Bündnissen für Arbeit durchsetzen, dann schließe ich nicht aus, dass sich die Arbeitnehmer in jedem Betrieb in unterschiedliche Flügel spalten. Einheitliche Tarifverträge, die ja auch soziale Friedensverträge auf Zeit sind, könnten dann schnell der Vergangenheit angehören. Das wünscht sich auch kein Arbeitgeber. Aber kann es denn nicht auch sinnvoll sein, zwischen Ticketverkäufern und Lokführern zu unterscheiden? Dass letztere so viel Dampf machen, gefällt vielen Arbeitnehmern. Der DGB wirkt dagegen wie ein Bummelzug.Sommer: Erstens leisten die meisten Tarifwerke genau diese Differenzierung zwischen verschiedenen Arbeitsbereichen einer Branche. Zweitens fordern die Medien von uns erst jahrelang Lohnzurückhaltung. Und dann wird gesagt, wir sollten uns mal ein Beispiel an den "Helden" nehmen, die da Lokführer heißen. Das passt doch nicht zusammen. Nicht wir sagen, dass die Gewerkschaften mehr Geld fordern sollen, sondern Oskar Lafontaine, der Chef der Linkspartei, tut das.Sommer: Ich brauche keinen Oskar Lafontaine, der für uns Forderungen aufstellt, das machen wir Gewerkschaften immer noch selber. Wir machen es übrigens auch besser und verantwortungsbewusster. Trotzdem biedert sich die Linkspartei bei Ihnen an. Würde es Sie denn gar nicht freuen, wenn da nun eine richtige Gewerkschaftspartei heranwächst?Sommer: Um Himmels Willen, wir brauchen in Deutschland keine Gewerkschaftspartei, sondern demokratische Parteien, die im Wettstreit um die Wählergunst das Bestmögliche für die Menschen erreichen.

Sie tun so, als hätten Sie alle Parteien gleich lieb. Haben Sie die SPD nicht doch noch ein klein wenig lieber als die anderen?

Sommer: Ich bin da knallhart. Die Gewerkschaften in Deutschland sind parteiunabhängig, und ich werde alles dafür tun, dass sie es bleiben. Natürlich nehmen wir zur Kenntnis, dass wir auf dem Weg zu einem Fünf-Parteien-System sind. Die Linkspartei hat sich politisch etabliert. Was die anderen Parteien daraus machen, müssen sie selbst entscheiden.

Aber egal sein kann es Ihnen nicht. Die Zersplitterung der Linken wird dazu führen, dass DGB-Positionen wie etwa ein gesetzlicher Mindestlohn nur noch sehr schwer durchzusetzen sind.Sommer: Das muss nicht so sein. Wir haben fast überall in Westeuropa neben den sozialdemokratischen Parteien noch eine linke Gruppierung. Die haben miteinander gelernt, damit umzugehen - auch wenn es zwischenzeitlich heftige Verwerfungen gab. Eines aber ist mir wichtig: Wir wollen nicht zulassen, dass die Gewerkschaften zum Tummelfeld parteipolitischer Auseinandersetzungen werden. Wer die Gewerkschaften derart missbrauchen will, wird unseren Widerstand zu spüren bekommen. Keine nette Grußadresse an Lafontaine und Co!Sommer: Wenn wir zu Richtungsgewerkschaften mutieren würden, dann wäre unser gesellschaftlicher Einfluss bald dahin. Wir lassen uns nicht spalten. Die Gefahr besteht.Sommer: Damit diese bisher theoretische Gefahr nicht real wird, führen wir die Debatte auch öffentlich.

Michael Sommer

Niederrheiner Michael Sommer wurde am 17. Januar 1952 in Büderich, heute Ortsteil von Meerbusch, geboren. Er studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Gewerkschafter Sommer trat 1971 in die Deutsche Postgewerkschaft ein, 1981 in die SPD. Seit dem 28. Mai 2002 ist er Bundesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).