Die große Angst vor der Stromlücke

Klimapolitik: Können erneuerbare Energien die Atomkraft bis zum Ausstieg im Jahr 2020 ersetzen? Experten meinen: Ja – wenn die Politik nachbessert.

Düsseldorf. "Wir stehen vor einer Stromlücke, und jeder weiß, was das bedeutet", sagt RWE-Manager Fritz Vahrenholt und spricht dann im Deutschlandradio doch aus, was eigentlich jeder weiß: "Dann gibt es aufgrund der Verknappung des Stromangebots eine weitere Preissteigerung - insbesondere beim Industriestrom."

Die Stromlücke erwarten Experten der Stromversorger spätestens für 2020, also mit dem Abschluss des Atomausstiegs. Mehr als 20 Kohlekraftwerke seien nötig, um diese Lücke zu schließen, heißt es. Doch die würden die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung ad absurdum führen. Kommen wir also noch nicht ohne die Atomkraft aus?

Thorben Becker, Energieexperte beim Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), widerspricht. "Wir brauchen die Atomkraft nicht." Der Ausbau der erneuerbaren Energien sei in Kombination mit einer Verringerung des Stromverbrauchs ausreichend, um den Wegfall der Atomenergie aufzufangen.

Allerdings müssten dazu bestimmte Ziele realisiert werden: Erstens müsse Deutschland sein Ziel erreichen, 2020 gut 30 Prozent des Stroms aus Wasser, Wind, Sonne und Biomasse zu erzeugen. Aktuell liegt der Anteil der erneuerbaren Energien bei 14Prozent. Hinzu kommt das Problem, dass die Windkraft im Gegensatz zur Atomenergie nur phasenweise Strom produziert. Stromspeicher gibt es noch nicht.

Zweitens müsste Deutschland bei der Effizienz deutlich zulegen. Die Kraft-Wärme-Kopplung - also die Nutzung der Abwärme eines Kraftwerks zur Beheizung der Haushalte im Umland - müsste konsequenter als von der Bundesregierung geplant in Kraftwerke eingebaut werden. Der Haken: Kraft-Wärme-Kopplung funktioniert am Besten bei einem dezentralen Netz mit vielen Kleinkraftwerken - das es in Deutschland so nicht gibt.

Drittens müsste der Energieverbrauch in den Haushalten deutlich sinken. "Wir verbrennen zum Beispiel viel zu viel Gas in ineffizienten Gas-Etagenheizungen", sagt Becker. Die riesigen Einsparpotenziale in Altbauten bleiben im KlimapaketII der Bundesregierung jedoch weitgehend ungenutzt.

Auch eine Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie kommt zu dem Schluss, dass auf die Atomkraft verzichtet werden kann. Eine Bedingung ist, dass der jährliche Energieverbrauch bis 2016 um neun Prozent gesenkt wird. Die Studie zeigt auf, wie das gelingen könnte. Experten der Energieversorger bezweifeln aber, dass dieses Minus erreicht wird. Aktuell steigt der Verbrauch noch leicht an.

"Wenn die Regierung am Klimapaket nicht nachbessert, könnten wir beim Atomausstieg ein Problem bekommen", räumt Thorben Becker vom BUND ein. Das sei dann aber kein Versorgungs-, sondern ein Klimaproblem.

"Die Versorger werden darauf drängen, alte Kohlekraftwerke am Netz zu halten." Das wäre der Gau für die Klimaschutzziele der Bundesregierung. Die Verteuerung der CO2-Emissionszertifikate würde zudem zu einer weiteren Explosion bei den Energiepreisen führen.

Die Energieversorger drängen stattdessen auf eine Verlängerung der Akw-Laufzeiten. Technisch wäre das problemlos möglich, sagte Dieter Marx vom Deutschen Atomforum.

Gelöst werden muss das Problem so oder so im Inland. Schon jetzt werden Dreiviertel unseres Energieverbrauchs von Kraftwerken im Ausland gedeckt. Jedes Kraftwerk weniger vergrößert die Abhängigkeit von Stromimporten. Ein Großteil dieser Importe stammt aus französischen Atomkraftwerken.