Die Macht des Geldes in der Medizin
Am Dienstag startet der Deutsche Ärztetag. Es geht um finanzielle Anreize und ein neues Gesundheitssystem.
Hannover. 240 Klinikaufenthalte pro 1000 Einwohner gab es zuletzt pro Jahr in Deutschland — es kamen so viele Menschen ins Krankenhaus wie in kaum einem anderen Industriestaat. Die Zahl aus einer OECD-Studie wirft nur ein Schlaglicht auf die Macht des Geldes in der Medizin in Deutschland heute. Viele Eingriffe sollen auch deshalb stattfinden, weil Kliniken und Ärzte auf diese Weise Umsatz machen. Zündstoff hat sich angestaut für den am Dienstag beginnenden 116. Deutschen Ärztetag.
„Ökonomischen Druck“ beklagte Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery am Wochenende. Die Politik habe dem Gesundheitswesen falsche Anreize verordnet. „Es wird immer Optimierer geben, die für sich eine Lücke sehen“, räumt er im „Deutschen Ärzteblatt“ mit Blick auf die Klinikbranche ein. „Dagegen muss man etwas tun.“
Beispiel Chefarzt-Boni: In zahlreichen Kliniken bekommen die obersten Mediziner bei vielen Operationen Zuschläge. Im Auftrag des Gesetzgebers haben Bundesärztekammer und Krankenhausgesellschaft den Kliniken nun aufgegeben: „Finanzielle Anreize für einzelne Operationen oder Leistungen dürfen nicht vereinbart werden, um die Unabhängigkeit der medizinischen Entscheidung zu sichern.“ Montgomery erläutert: „Es ist eine Empfehlung.“ Also keine Pflicht.
Die Ärzteschaft legt auch ein Konzept für das 190-Milliarden-Euro-System der gesetzlichen Krankenkassen vor. Was wollen die Mediziner? Die Kassenausgaben für die Ärzte sind allein 2012 auf 34,5 Milliarden Euro gestiegen, bis zu 1,27 Milliarden mehr sollen es 2013 werden. Wegen des hohen Beitragssatzes von 15,5 Prozent bei guter Konjunktur sitzt die Krankenversicherung trotzdem auf einer Rekordreserve von 28 Milliarden Euro. Doch die Zukunft ist unsicher: Immer mehr Ältere, langwierige Krankheiten und teure Therapien lassen das Polster schwinden. Die Ärzte plädieren für eine breitere Finanzierung und für dauerhaft Steuergeld im System.
100 Euro pro Monat soll der Staat laut Montgomery jedem Menschen von der Geburt bis zum Alter von 18 Jahren auf ein Gesundheitssparkonto zahlen. Alle sollen so etwas für das Alter mit seinen Krankheitsrisiken angespart bekommen. Und der heutige Krankenkassenbeitrag, der sich prozentual nach dem Einkommen richtet, soll durch einen Gesundheitsbeitrag ersetzt werden: Für alle Mitglieder einer Kasse gleich hoch, nämlich 130 bis 170 Euro pro Kopf und Monat — aber mit einem Sozialausgleich für Geringverdiener. Damit stellen sich die Ärzte quer zur Politik.