Die tiefen Gräben der Weltorganisation

Obamas und Gaddafis Reden sprechen Bände über die Zerrissenheit der Vereinten Nationen.

New York. Der Gegensatz hätte krasser nicht sein können: Während US-Präsident Barack Obama den Vereinten Nationen die Hand zur Versöhnung reichte, zerriss der libysche Oppositionsführer Muammar al-Gaddafi symbolisch vor den Augen der Welt die UN-Charta.

Die Jungfernreden der beiden ungleichen Politiker zum Auftakt der traditionellen Generaldebatte in New York machten am Mittwoch deutlich, welche Gräben die Weltorganisation zu überbrücken hat - und warum sie oft genug bei der Kompromisssuche scheitert.

Obama gewann mit einer nachdenklichen Rede die Herzen der Zuhörer. "Die Vereinigten Staaten sind bereit, ein neues Kapitel der internationalen Zusammenarbeit aufzuschlagen - eines, das die Rechte und Verantwortlichkeiten aller Nationen anerkennt", sagte er vor den Spitzenpolitikern der 192 Mitgliedsstaaten. Nach den Jahren der Eiszeit zwischen den UN und den USA unter seinem Vorgänger George W. Bush war damit der Klimawandel eingeläutet.

Freilich machte der Präsident auch deutlich, dass das neue Engagement der USA in globalen Organisationen nicht zum Nulltarif zu haben ist. "Diejenigen, die Amerika stets gescholten haben, weil es allein in der Welt handelt, können jetzt nicht abseits stehen und abwarten, dass Amerika die Probleme der Welt allein löst."

Genau dies ist aber das Dilemma, vor dem der Präsident steht. Die Europäer sperren sich nach wie vor gegen die angemahnte Aufstockung ihrer Truppenkontingente in Afghanistan. Und Russland widersetzt sich schärferen Sanktionen gegen das iranische Atomprogramm.

Beim Auftritt Gaddafis schlug die Stimmung schnell um. Als er von seinem eigenen Minister Ali Treki, der dieses Jahr Präsident der Vollversammlung ist, als "König von Afrika" und "König der Könige" ans Rednerpult gerufen wurde, brach Unruhe aus.

Was Gaddafi dann bot, stellte alle bisherigen UN-Eklats in den Schatten. Selbst der Schuh, mit dem der damalige Kremlchef Chruschtschow 1960 heftig auf den Tisch trommelte, um ein kontroverses Thema durchzusetzen, kann da nicht mithalten.

Gaddafi beschuldigte die Weltorganisation des "Terrorismus" und warf ihr vor, die eigene Charta zu brechen. Die Besetzung des Sicherheitsrats mit atomaren Vetomächten laufe der Charta zuwider, wetterte er - und riss demonstrativ mehrere Seiten der UN-Bibel ein. "Er sollte nicht Sicherheitsrat heißen. Er sollte Terrorrat heißen."