Herr Blienert, die Cannabis-Freigabe, die auch eine neue Regulierung ist, ist in aller Munde. Die Regierung will sie, Sie wollen sie als Drogen- und Suchtbeauftragter der Bundesregierung auch. Warum?
Sucht in Deutschland Drogenbeauftragter: Wir brauchen auch für Alkohol mehr Regulierung
Interview · Burkhard Blienert, Drogen- und Suchtbeauftragter der Bundesregierung, über deutsche Cannabispläne, das nächste Feld Alkohol und den mächtigen Lobbyismus, den er bekämpfen muss.
Blienert: Ich halte die kontrollierte Freigabe von Cannabis für absolut notwendig. Wir müssen endlich in die Fragen einsteigen, ob wir weiter tolerieren können, dass es einen Schwarzmarkt mit allen seinen Risiken gibt. Ob wir weiter die Augen davor verschließen können, dass wir mit einem völlig unregulierten Markt weder Kinder und Jugendliche noch die Gesundheit der Menschen schützen können. Die Leute merken aber erst, dass ich es als Drogenbeauftragter wirklich ernst damit meine, wenn ich die Verbindung zwischen Cannabis und Alkohol herstelle.
Inwiefern?
Blienert: Ich glaube, dass wir auch für Alkohol deutlich mehr Regulierung brauchen. Da schließt sich für mich ein Kreis. Und das irritiert viele Menschen
Weil die Menschen Alkohol anders betrachten als Cannabis?
Blienert: Für die meisten Menschen ist Alkohol allzeit verfügbar, sichtbar, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche zugänglich. Alkohol gehört wie eine Selbstverständlichkeit zum Leben. Die Zahlen aber sagen ganz klar: Alkohol ist auch in geringen Mengen ungesund und schädlich. Es lohnt sich, in eine Regulierung mindestens bei der Alkoholwerbung einzusteigen. Das will ich, das will die Bundesregierung.
Die Aufregung ist ja bei der Cannabis-Regulierung schon erheblich in der Gesellschaft. Was sagen Sie Kritikern, die Cannabis für eine Einstiegsdroge halten? Die mentale Grenzen eingerissen sehen, anhand derer Jugendliche sich auch psychologisch zu immer mehr hin öffnen?
Blienert: Man merkt, wie sehr die Sicht, Cannabis sei eine Einstiegsdroge, Allgemeingut geworden ist. Auch, dass allein Verbotspolitik reichen würde, Cannabiskonsum zu verhindern. Das ist aber alles nicht so. Die Realität in der Gesellschaft sieht ganz anders aus. Jeder zweite Erwachsene hat in seinem Leben Cannabis geraucht, jeder vierte konsumiert mindestens einmal im Jahr. Die Verbreitung ist enorm hoch, Cannabis ist überall verfügbar. Deswegen war es richtig, als Staat zu fragen: Können wir da wirklich zuschauen? Können wir zuschauen, dass mehrere Milliarden Euro auf dem Schwarzmarkt umgesetzt werden? Dass es synthetische Cannabinoide gibt mit potenziell hoher Gesundheitsgefährdung? Wollen wir diese Gesundheitsrisiken – auch durch gestrecktes und verunreinigtes Cannabis – wirklich weiter hinnehmen? Ich sage nein und halte Regulierung deswegen für richtig.
Viele sagen, wir schaffen durch die neue Regulierung viel mehr Bürokratie im Nachgang, obwohl doch auch der Plan, Bürokratie zu mindern ein Grund für die Neuorientierung gewesen ist.
Blienert: Wir haben schon jetzt viel Bürokratie um die Frage herum, wie wir mit den Konsumierenden umgehen. Allein, was die Eigenbedarfsregelung betrifft – bis zu welcher Cannabismenge kann die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren einstellen - dafür gibt es zwischen den Bundesländern ganz unterschiedliche Regeln. Wir erleben zudem um 200 000 Ermittlungsverfahren im Jahr, die auf Mengenüberschreitung oder andere konsumnahe Delikte zurückzuführen sind. Oft trifft das auch Menschen, die sonst gar nicht viel mit Cannabis am Hut hatten, die vielleicht nur mal ausprobieren wollten. Für die kann es im Moment enorme Probleme geben, was den Führerschein oder die Berufsausbildung betrifft.
Und den Einwand Einstiegsdroge lächeln Sie weg?
Blienert: Die These ist schlicht wissenschaftlich widerlegt. Sie geht davon aus, dass ein Mensch mit Cannabis anfängt und später bei Opiaten und Heroin landet. Wenn Menschen aber tatsächlich mit psychoaktiven Substanzen oder Drogen anfangen, dann greifen sie zu den legalen Rauschmitteln, dann rauchen sie entweder oder trinken Alkohol. Also müsste man diese Substanzen als Einstiegsdroge bezeichnen. Und dann hätten wir gesellschaftlich nochmal eine ganz andere Debatte. Und wenn die These – Cannabis als Einstiegsdroge – richtig wäre, müssten angesichts des jetzt schon vorhandenen Cannabiskonsums Millionen Menschen in Deutschland auf Drogen wie Opiate oder Kokain umsteigen.
Wie sieht der Cannabis-Plan der Bundesregierung konkret aus?
Blienert: Die kontrollierte Abgabe für Erwachsene wird in dieser Wahlperiode in zwei Schritten vorangebracht, wir sprechen von zwei Säulen. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf zur ersten Säule regelt den in Zukunft straffreien Kauf und Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis für Erwachsene für den Eigenkonsum, dass sich Anbauvereine als sogenannte Cannabis-Clubs gründen können und dass man bis zu drei Cannabispflanzen zu Hause selbst anbauen darf. Das bedeutet eine deutliche Entkriminalisierung der Konsumierenden. Über die Regularien für die Clubs wird im Bundestag noch debattiert; hier geht es um den Mindestabstand zu Kitas und Schulen, um ein gemeinschaftliches Rauchverbot und die Höchstzahl an Mitgliedern.
Und in der zweiten Säule?
Blienert: In wird es dann um die lizensierte Abgabe in Verkaufsstellen in den Modellregionen gehen. Damit wird die kontrollierte Freigabe dann rund, weil wir so auch Lösungen für Gelegenheitskiffende schaffen, die vielleicht nur einmal im Jahr zum Geburtstag einen Joint rauchen. So sorgen wir mit der Freigabe für ein besseren Gesundheitsschutz, weil niemand mehr auf das gestreckte Gras vom Dealer angewiesen ist.
Es wird keinerlei Werbung für Cannabis geben?
Blienert: Richtig. An der Außentür und an den Fassaden wird nicht erkennbar sein, was sich dahinter befindet. Untersagt ist ebenfalls Werbung in Social Media und anderen Bereichen.
Erste Lesung und Anhörung zum Gesetzentwurf sind verschoben worden. Doch keine Einigkeit in der Regierung?
Blienert: Doch, der Gesetzentwurf liegt vor und kommt wegen der Terrorangriffe der Hamas voraussichtlich nur eine Woche später in den Bundestag zur sogenannten Ersten Lesung. Wenn alles gut ausgewertet ist, kann zum 1. Januar 2024 das Cannabisgesetz in Kraft treten. Und dann wird die Bundesregierung parallel definieren, wie die Modellregionen ausgestaltet werden.
Und die regierungstragenden Mehrheiten stehen?
Blienert: Wir werden im Parlament sicher noch Fragen diskutieren, aber das Gesetz wird durchgehen. Ich nehme nichts Anderes wahr. Seitens der Bundesregierung waren fast alle Ministerien bereits am Referentenentwurf beteiligt. Und die Abstimmung verlief eher geräuschlos. In anderen Konstellationen wäre das so nicht mal denkbar gewesen.
Und nach Cannabis ist dann die Regulierung von Alkohol die nächste Debatte?
Blienert: Ich rufe zu einer Regulierungsdebatte auch beim Alkohol auf. Wenn wir uns ernsthaft mit Drogenpolitik beschäftigen, brauchen wir einen Paradigmenwechsel. Zu diesem gehört auch der selbstverständliche Umgang mit Alkohol auf den Prüfstand. Das ist doch nicht logisch erklärbar: Alkohol ist ein gefährliches Zellgifte mit großen negativen Folgen für den Einzelnen und unsere Gesellschaft, unser Umgang damit ist aber weitgehend sorglos und spaßgetrieben. Es gibt Millionen Alkoholabhängige. Das heißt auch enormes Leid für ihre Kinder, weitere Familienangehörige und enge Freunde, die alle mitbetroffen sind.
Also ist Alkohol das viel größere Problem als Cannabis?
Blienert: Gesellschaftlich gesehen, ist es das viel größere Problem, ja.
Warum führen wir dann die Alkohol-Debatte nicht zuerst?
Blienert: Wir führen die Debatten zusammen. Die Klammer ist staatliche Regulierung für Cannabis, Alkohol und natürlich auch Nikotin und Glücksspiel. Im Koalitionsvertrag haben sich die Ampelfraktionen über Cannabis und auch Beschränkungen beim Sponsoring und der Werbung für Alkohol und Tabak verständigt. Und ich spreche über härtere Leitplanken für Alkohol und Tabak.
Wie weit sind wir denn in der Alkoholdebatte?
Blienert: Wir wollen per Koalitionsvertrag auf Werbung und Sponsoring einwirken. Für Alkoholwerbung werden jedes Jahr um die 700 Millionen Euro ausgegeben. Das ist ein dicker Batzen. Wir wissen aus der Zeit, in der stark für Tabak geworben wurde auch, dass sich die Berichterstattung über Tabak änderte, nachdem Werbung eingeschränkt worden war. Die Risiken wurden erkennbarer.
Hat sich das in Zahlen ausgewirkt?
Blienert: Ja, unmittelbar. Verbotene Werbung, verminderte Rauchgelegenheiten, höherer Preis, das sind die drei wirkungsvollsten Mechanismen. Insbesondere bei Jugendlichen sind die Zahlen zurückgegangen. Leider haben wir jedoch seit Corona wieder steigende Werte.
Die Jugendlichen heute rauchen verstärkt E-Zigaretten und sogenannte Vapes.
Blienert: Das hat sich innerhalb kürzester Zeit als Trend herauskristallisiert. Die Industrie hat sich vor allem in die jugendliche Zielgruppe hineingeschlichen. Auch in diesem Bereich gibt es noch Werbemöglichkeiten, Lücken, die wir schließen müssen. Die Einweg-E-Zigarette wird durch die Batterieverordnung der EU zum 1. Januar 2027 verboten, auch ein wesentlicher Schritt. Und dann müssen wir ran an die Produkte, die jetzt etwa mit süßen Aromen gerade Jugendlichen besonders gut schmecken, eben diese Vapes. Die triggern bereits Zwölfjährige.
Das bayrische Festzelt wird über Ihre Alkoholpläne nicht glücklich sein.
Blienert: Alkohol ist allgegenwärtig. Deshalb soll Sponsoring und Werbung eingeschränkt werden. Jetzt ist die Frage, wie wir das anwenden. Der Konsum von Alkohol bleibt natürlich erlaubt, aber die Menschen sollen gesundheitsbewusst konsumieren.
Also präsentiert bald kein Bierproduzent mehr die ARD-Sportschau.
Blienert: Als Drogen- und Suchtbeauftragter habe ich da eine klare Meinung: Sport, Alkohol und auch Sportwetten gehören nicht zusammen. Gerade in die Sportschau gehört das überhaupt nicht rein. Das muss doch allen einleuchten, dass das Alkohol und all unsere Probleme damit nur verharmlost und Kinder und Jugendliche zum frühzeitigen Trinken ermuntert. Darum soll für Alkoholprodukte am besten insgesamt nicht mehr geworben werden. Nicht in Angeboten von Supermärkten, keinerlei Lockangebote mehr.
Bis wann ist das umgesetzt?
Blienert: Wenn sich die Regierung geeinigt hat. Ich bin dazu bereits in Gesprächen mit vielen Ministerien und den Fraktionen. Wenn es nach mir geht, wäre es nur konsequent, auch etwas gegen die kleinen Fläschchen an den Supermarktkassen zu tun. Die sind für jeden Süchtigen eine Zumutung. Es ist zu leicht in Deutschland, an Alkohol ranzukommen. Wir brauchen dazu eine gesellschaftliche Debatte. Ich empfinde viel Zustimmung für diese Vorschläge. Viele sagen: Dann macht es doch gleich wie in den Niederlanden, wo der Alkoholverkauf von Supermärkten getrennt ist und in sogenannten Liquor-Stores stattfindet, in denen unter 18-Jährigen kein Eintritt gewährt wird. Ich kann mir das als großes Ziel sehr gut vorstellen.
Sie halten Deutschland für deutlich zu lasch im Umgang mit Alkohol.
Blienert: Jugendliche dürfen in Deutschland ab 16 Alkohol kaufen. Ab 14 Jahren ist das sogenannte „begleitete Trinken“ erlaubt. Ein unglaublicher Begriff, übrigens einzigartig in Europa. Das ist für mich Irrsinn. Über diese Fragen der Altersgrenzen müssen wir reden. Da bin ich auch dran.
Sie stehen großen Lobbyverbänden gegenüber.
Blienert: Das ist so. Und aus Sicht der Lobbyisten ist das auch nachvollziehbar. Aber andere Länder haben es uns schon lange vorgemacht, wie man es schafft, kein Hochkonsumland mit entsprechenden Folgen und Milliarden von direkten und indirekten Kosten mehr zu sein. Wir müssen uns fragen: Wie kriegen wir den Gesamtkonsum runter! Die Lobbyverbände müssen mir und der Gesellschaft erklären, warum sie es richtig finden, dass Kinder und Jugendliche Alkohol konsumieren. Die Antwort liegt auf der Hand. Sie verdienen viel daran. Aber uns muss Gesundheit vor Gewinn gehen.
Und der Staat erhält Steuern dadurch.
Blienert: Das ist nur ein Bruchteil der Kosten, die an gesellschaftlichen Gesamtkosten durch den Alkoholkonsum entstehen. Überhaupt müssen wir uns fragen, wie lange wollen wir uns so etwas noch leisten. Nur zum Vergleich: Rund 46 Milliarden Euro werden jedes Jahr in Deutschland mit alkoholhaltigen Getränken umgesetzt. Dagegen kostet uns aber Alkohol und die Schäden, die er anrichtet, rund 57 Milliarden Euro pro Jahr.
Warum ist Deutschland aus Ihrer Sicht in diesen Fragen so wenig weit?
Blienert: Weil die Stimmen bislang zu leise gewesen sind. Deswegen thematisiere ich es ja laut. Sonst verlassen wir nicht den letzten Platz in Europa, was Tabak- oder Alkoholregulierung betrifft. Wir erfüllen schlicht nicht die Ziele der Weltgesundheitsorganisation. Wir ruhen uns auf den Maßnahmen der letzten Jahre aus. Und wenn jemand sagt: Das alles gehört doch zum Kulturgut Deutschlands, dann sage ich: Wer wünscht sich heute die Zigaretten zurück ins Restaurant, in die beruflichen Sitzungen oder in die Kneipe? Wir haben diese Kultur sehr schnell abgeworfen. Jetzt wird’s Zeit, dass wir das auch bei Alkohol schaffen.