Kölner Silvesternacht Einsatzleiter: Übergriffe nicht bemerkt
Der 57-Jährige, der die Polizei in Köln in der Silvesternacht führte, lässt die Politiker im Ausschuss des Düsseldorfer Landtags ratlos zurück.
Düsseldorf. Wie konnte es Silvester quasi unter den Augen der Polizei zu massenhaften sexuellen Übergriffen am und im Kölner Hauptbahnhof kommen? Der Einsatzleiter der Landespolizei müsste das erklären können. Darauf jedenfalls hatten sie gesetzt, die Landtagspolitiker im Untersuchungsausschuss, der die Vorfälle aufklären soll. Günter R. (57) jedoch ließ diese eher ratlos zurück. Obwohl er selbst in der fraglichen Zeit der Übergriffe direkt vor dem Bahnhof war, hätten er und seine Kollegen nichts von den Übergriffen mitbekommen.
Fast schon verzweifelt klingt es, als der Ausschussvorsitzende Peter Biesenbach (CDU) ihm vorhält: „Das sind für mich zwei Filme, die da in meinem Kopf ablaufen.“ Es passe doch nicht mit den Opferaussagen zusammen, mit den Anzeigen und den Bildern, die man aus der Silvesternacht kenne. Und dann habe die anwesende Polizei von all dem nichts wahrgenommen?
R., der trotz der Geschehnisse recht selbstbewusst auftritt, sagt, es sei für ihn selbst „unheimlich schrecklich und unvorstellbar, dass diese Dinge nahe bei uns passiert sind und wir das nicht mitbekommen haben“. Er versucht eine Erklärung anhand eines Falles, den eine Kollegin in einer Anzeige aufgenommen hatte. Da sei ein Opfer im Schutz der Masse von mehreren Männern umringt worden. Der Frau sei der Mund zugehalten und dann sei sie begrapscht worden. „Es war dunkel, es war laut. Und das konnte selbst wenige Meter von uns entfernt passieren.“ Es seien „unheimlich viele Bürger an uns vorbeigekommen, doch diese schlimmen Dinge sind uns nicht gesagt worden, obwohl wir doch mit sieben oder acht Beamten da standen. Wenn in der Nacht nur zehn Prozent der Opfer, die sich später gemeldet hatten, den Notruf 110 angerufen hätten, hätten wir eine ganz andere Lage gehabt. Wir hatten das nicht auf dem Schirm.“ Es habe keine entsprechenden Rückmeldungen gegeben. „Ich war später wie vor den Kopf gestoßen. „Wir standen da am Bahnhof, verdammt noch mal, warum hat uns das niemand gesagt?“
Aus seiner Position vor dem Bahnhof glaubte er einen guten Überblick zu haben. „Aber die Zeiten, wo man auf dem Feldherrenhügel steht, sind vorbei, meine Augen sind meine Mitarbeiter“, sagt er auch. Doch die hätten ihm nichts von solchen Taten gemeldet, wie sie später bekannt wurden.
Und so forderte er keine Verstärkung an. Er war ja auch zufrieden damit, dass er in diesem Jahr mehr Einsatzkräfte bekommen hatte. Günter R. hatte auch schon in der Silvesternacht 2014 den Einsatz geleitet. „Du hast das letztes Jahr auch gemacht“, habe sein Vorgesetzter gesagt. Im Vorfeld habe es Hinweise gegeben, dass mit mehr Taschendieben zu rechnen sei. Nordafrikanische Taschendiebe — im Kölner Polizeijargon Nafris genannt — seien für die Kölner Polizei aber „Alltagsgeschäft“. Dass nordafrikanische „Antänzer“ massiv Frauen bedrängen, sei völlig untypisch. „Das sind Taschendiebe. Die bemühen sich, nicht aufzufallen.“
Und so kam er am Einsatzabend gegen 20.40 Uhr mit seiner erwachsenen Tochter — sie wollte Silvester feiern — per Zug von seinem Wohnort in Köln an. Schon da seien ihm vor dem Bahnhof zahlreiche Gruppen von je etwa 20 Personen aufgefallen, die sich mit Böllern bewarfen „und einen Riesenspaß dabei hatten. Ich habe gedacht, die sind noch nicht in unserem Brauchtum gefestigt.“ Er meint damit die frühe Zeit der Knallerei weit vor Mitternacht, aber auch die Alkoholisierung „Wenn dat mal nicht in die Hose geht“, habe er gedacht. Doch an das spätere Geschehen habe er da überhaupt nicht gedacht. Die Entscheidung, dass er vor Mitternacht den Bahnhofsvorplatz räumen ließ, habe seinen Grund in der Tumultlage gehabt. Er habe befürchtet, dass in der enthemmten Menge auf dem überfüllten Bahnhofsvorplatz eine Massenpanik ausbrechen könne. „Wenn da jetzt irgendein Idiot mit Polenböllern anfängt, dann gibt das eine Massenpanik, dann werden Leute totgetrampelt.“
Später, nach der Räumung, ließ man die Menschen wieder auf den Platz. Und dann habe man doch mitbekommen, dass „da unschöne Dinge ablaufen“, wie er sich ausdrückt. Kräfte wurden wieder zurückbeordert vor den Bahnhof. Und doch habe er von den sexuellen Übergriffen nichts bemerkt. R. bereitet die Ausschussmitglieder schon darauf vor, dass sie in künftigen Befragungen von am Einsatz beteiligten Polizisten kaum anderes hören würden. „Sie werden noch viele Kollegen befragen und die werden mit der gleichen Erschütterung sagen, dass sie das nicht wahrgenommen haben.“
Doch auch R. soll noch mal aussagen. Die drei Stunden am Freitag reichten den Abgeordneten nicht. Weil seine Aussage so schwer mit den Anzeigen von Opfern in Einklang zu bringen ist, will der Ausschuss erst einmal Ermittlungsakten studieren. Und dann soll R. auch mit konkreten Fällen konfrontiert werden.