Eklat beim Thema Missbrauch
Sprecher der Opfer verlangen Gehör. Das Thema wühlt die christliche Basis auf.
München. Die Wut der Opfer trifft mitunter die Falschen. Als auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag in München mit Jesuitenpater Klaus Mertes der Mann ans Mikrofon tritt, der als Rektor des Berliner Canisius-Kollegs als Erster den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche öffentlich gemacht hat, sorgt Norbert Denef für einen Eklat. Der Vorsitzende eines Opfer-Netzwerks fordert den Abbruch der Podiumsdiskussion. "Wir wollen uns selbst vertreten", ruft er und zieht die Aufmerksamkeit auf sich.
Denef hatte schon im Vorfeld kritisiert, dass keine Opfervertreter eingeladen worden waren. Er selbst sucht seit Monaten massiv die Öffentlichkeit. Die Kirchentagsorganisatoren halten dagegen, Einzelschicksalen könne ein Podium kaum gerecht werden. Außerdem wolle man die Opfer vor Voyeurismus bewahren.
Die Haltung des Kirchentagspublikums ist jedenfalls eindeutig. Es will im Gegensatz zu Denef sehr wohl hören, was Kirchenvertreter zu der gegenwärtigen Erschütterung sowohl ihrer Institution als auch der Menschen zu sagen haben. Die katholische Basis sehnt sich nach grundlegenden Veränderungen.
Und Mertes verleiht ihr Ausdruck. Vehement fordert er seine Kirche auf, sich von der Abwehrhaltung zu verabschieden und die Opferperspektive einzunehmen: "Nicht wir sind die Opfer, sondern die Opfer sind die Opfer." Der Pater stellt die Frage "nach den Machtstrukturen in der katholischen Kirche". Und er kritisiert, dass es zu wenig innerkirchliche Öffentlichkeit gebe, weil Abweichlern mit disziplinarischen Maßnahmen gedroht werde.
Rückendeckung erhält Mertes vom katholischen Theologen und Psychologen Wunibald Müller. Zwar gebe es keine direkte Verbindung von Missbrauch und Zölibat. Aber die Tabuisierung von Sexualität und vor allem Homosexualität führe zu einem überdurchschnittlichen Anteil sexuell unreifer Priester. "Eine Priesterschaft aus zölibatären wie verheirateten Priestern hätte eine positive Wirkung."
Die Missbrauchsdiskussion wühlt die christliche Basis quer durch die Konfessionen auf, das ist in München an vielen Stellen zu spüren. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, Beauftragter der Bischofskonferenz für Missbrauchsfälle, ist da in einer undankbaren Situation: Er steht für die heftig kritisierte Institution und bemüht sich zugleich, Brücken zu den Opfern zu bauen.
Zum heimlichen Star des 2. Ökumenischen Kirchentags war Margot Käßmann schon zuvor erklärt worden. Doch als am Donnerstagmorgen 6.000 Besucher in einer überfüllten Messehalle ihre Rückkehr in die Öffentlichkeit verfolgten, hatte das mit Heimlichkeit nichts mehr zu tun. Der nach ihrer Alkoholfahrt im Februar zurückgetretenen EKD-Ratsvorsitzenden schlägt bei ihren Auftritten auf dem Kirchentag Sympathie entgegen. "Ja, es gibt eine zweite Chance", predigte sie - auch für sich selbst.
Aber sie scheute sich auch nicht, an Themen anzuknüpfen, die sie schon in ihrem Spitzenamt aufgegriffen hatte. "Lieber bin ich naiv und überzeugt, dass ein Kriegsbogen ein Regenbogen werden kann, als dass ich mich der Logik und Praxis von Waffenhandel und Krieg beuge", erklärte sie mit Blick auf ihre umstrittene Afghanistan-Äußerung.