EU: Merkel weist Kritik an deutschem Auftritt zurück
Berlin (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat vor dem EU- Gipfel den Vorwurf eines zu machtbewussten Auftritts Deutschlands in Europa zurückgewiesen.
„Deutschland diktiert niemandem etwas“, sagte die Kanzlerin der „Bild“-Zeitung (Donnerstag) mit Blick auf die Diskussion um die Einführung gemeinsamer Euro-Anleihen. Der belgische Ex-Premier Guy Verhofstadt appellierte an Merkel, in Brüssel ein klares Signal für „mehr Europa“ zu setzten. Unterdessen warnte Polens Ministerpräsident Donald Tusk vor einem Auseinanderdriften der EU.
Die Staats- und Regierungschefs der Union wollen sich heute (Donnerstag) und morgen mit der besseren Absicherung des Euro befassen. Es geht um einen dauerhaften Auffangschirm für kriselnde Eurostaaten für die Zeit nach 2013. Auf deutschen Wunsch hin sollen die „Chefs“ beschließen, den vor einem Jahr in Kraft getretenen Lissabonner Reformvertrag zu ergänzen, um die Kriseneinrichtung rechtlich zu verankern. Beschlüsse zu den in der Öffentlichkeit viel diskutierten Euro-Bonds stehen nicht an.
Merkel appellierte an die Staats- und Regierungschefs, beim Gipfel Geschlossenheit zu zeigen. Dadurch werde deutlich: „Der Euro steht für keinen von uns infrage. Spekulanten haben keine Chance“. Deutschland sei gut durch die Wirtschaftskrise gekommen, weil die Menschen keine Angst gehabt und große Gelassenheit gezeigt hätten. „Diese Entschlossenheit und Zuversicht brauchen wir jetzt weiter. An Europa und den Euro zu glauben, sich nicht beirren zu lassen, ist schon die Hälfte der Lösung“, sagte Merkel der „Bild“-Zeitung.
Nach Ansicht Verhofstadts hat sich die Kanzlerin aus Rücksicht auf eine Anti-Euro-Stimmung in Deutschland „aus der Europa-Avantgarde, zumindest vorläufig, verabschiedet“. Der EU-Gipfel dürfe sich nicht mit Beschwichtigungen nach der Devise „Kein Stress vor Weihnachten, bitte!“ begnügen, schreibt der Vorsitzende der Liberalen im Europaparlament in der „Frankfurter Rundschau“ und der „Berliner Zeitung“ (Donnerstag).
Verhofstadt stellte sich hinter Junckers Forderung nach Einführung von Euro-Anleihen. Es sei ein Fehler, dass der EU-Gipfel auf Berliner Wunsch möglichst nicht darüber sprechen solle. Euro-Anleihen sollten „ein Kernelement des künftigen Wirtschaftens in der Europäischen Union“ sein. Der Euro könne nicht überleben, wenn er weiter mit 16 Regierungen, 16 wirtschaftspolitischen Strategien und 16 Anleihenmärkten konfrontiert werde.
Luxemburgs Premierminister Juncker warf im „Handelsblatt“ (Donnerstag) den EU-Staats- und Regierungschefs vor, bei EU- Entscheidungen „allzu sehr Rücksicht auf die innenpolitische Agenda“ zu nehmen. Gipfelbeschlüsse hätten „Anlass zu Marktturbulenzen gegeben“. Für eine engere wirtschaftspolitische Abstimmung in der Währungszone reichten Treffen der Euro- Finanzminister nicht aus. Deshalb müssten Gipfeltreffen der Euro-Staaten einberufen werden.
Der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) äußerte sich zuversichtlich, dass Merkel die Einführung von Euro-Bonds verhindern wird. „Wenn Deutschland nein sagt, weil es seinen Grundinteressen widerspricht (...), dann kommt das nicht“, sagte er dem „Münchner Merkur“ (Donnerstag). Der Euro sei sicher und müsse behalten werden. Die Rückkehr zur D-Mark „hätte katastrophale Folgen für die deutsche Volkswirtschaft“, sagte Waigel. „Der Euro ist im Moment 15 Prozent mehr wert als die D-Mark bei ihrem Abschied, und Inflation ist keine Gefahr.“
Sieben deutsche Stiftungen riefen in einem offenen Brief die Bundesregierung auf, beim EU-Gipfel einen „mutigen Schritt voran zu einer echten Wirtschafts- und Finanzunion“ zu wagen. „Eine pro- europäische Führungsrolle liegt im ureigenen Interesse Deutschlands“, erklärten die Allianz Kulturstiftung, die Bertelsmann Stiftung, die BMW Stiftung Herbert Quandt, die Schering Stiftung, die Schwarzkopf- Stiftung Junges Europa, die Stiftung Mercator und die Stiftung Zukunft Berlin am Mittwoch.
Polens Regierungschef Tusk befürchtet indes eine Spaltung der EU. „Wir beobachten in der EU neuerdings, dass das gemeinschaftliche Denken schwächer wird“, sagte er der Zeitung „Die Welt“ (Donnerstag). Das finde seinen Ausdruck zum Beispiel darin, dass die Teilung der EU in die Länder der Eurozone und die Länder draußen immer schärfer werde. Dies erinnere an „das unselige Projekt vom Europa der zwei Geschwindigkeiten“, sagte Tusk. Es klinge, als wolle jemand einen Teil der Gemeinschaft aussperren.