EU testet erstmals Sicherheit von Kernkraftwerken

Brüssel (dpa) - Europa setzt bei der Sicherheit von Kernkraftwerken international ein Zeichen, klammert Terrorgefahren aber vorerst aus. Kritiker sprechen deshalb von Alibi-Tests.

Vom 1. Juni an soll bei sogenannten Stresstests geprüft werden, wie die europaweit 143 Atommeiler auf Naturkatastrophen wie Erdbeben, Hochwasser oder Flugzeugunglücke vorbereitet sind. Das kündigte EU-Energiekommissar Günther Oettinger am Mittwoch in Brüssel nach einer Einigung der EU-Staaten an.

Mögliche Terrorattacken sollten später untersucht werden, ein Datum stehe noch nicht fest. „Wir müssen erst prüfen, wer dafür zuständig ist: Polizei, Geheimdienste, Behörden für innere Sicherheit, Armee oder Luftwaffe?“, sagte Oettinger.

Während Oettinger von „strengen Standards“ sprach, halten Umweltschützer die Tests für zu lasch. Der Test umfasst alle 143 Reaktoren in der EU, aber auch solche Kernkraftwerke, die erst in der Planung sind. Innerhalb der EU setzen derzeit 14 von 27 Staaten auf Nuklearenergie.

Deutschland hat seine Reaktoren bereits geprüft. „Weil diese Tests strenger als die EU-Kriterien waren, müssen sie nicht wiederholt werden“, sagte ein Brüsseler Diplomat. Ergebnisse der „Stresstests“ sollen zum Jahresende vorliegen, im Frühjahr 2012 will die EU-Kommission ihren Bericht veröffentlichen.

Wenn ein Werk durchfällt, müsste es nachgerüstet oder abgeschaltet werden. Die EU hat jedoch keine Handhabe, Meiler abzuschalten. Das können nur die Mitgliedsstaaten selbst anordnen. Der Kommissar betonte: „Dies ist nicht mein Auftrag.“ Nach seiner Ansicht werden nicht alle AKW den Test bestehen.

Über die Kriterien und den Umfang hatten die Staaten wochenlang gestritten. Die auf Atomkraft setzenden EU-Mitgliedsländer, allen voran Großbritannien und Frankreich, lenkten schließlich ein. Der Kompromiss zwischen EU-Kommission und der Europäischen Gruppe für nukleare Sicherheit und Abfallentsorgung (ENSREG), in der die 27 Staaten vertreten sind, kam kurz vor Beginn des G8-Gipfels in Deauville an diesem Donnerstag zustande. Dort werden die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrieländer und Russland (G8) auch über Nuklearsicherheit sprechen, um die Konsequenzen aus dem katastrophalen Atomunfall in Japan zu ziehen.

Die EU-Kommission macht international Druck und ist unter anderem bereits in Gesprächen mit der Schweiz, Russland und der Ukraine über ähnliche Tests. Bisher gibt es keine vergleichbaren Überprüfungen in Europa. „Wir begeben uns auf Neuland“, sagte Oettinger.

Zwar ist die Teilnahme freiwillig, doch die EU-Kommission erwartet, dass alle Kraftwerksbetreiber mitziehen. Zu den Testkriterien gehören Erdbeben und Überschwemmungen, die im japanischen Fukushima den Nuklearunfall ausgelöst hatten, sowie Kälteeinbrüche oder Hitzewellen. Aber auch vom Menschen verursachte Katastrophen wie ein Flugzeugabsturz oder ein Tankschiffunfall sind eingeschlossen - egal ob der Unfall durch Unachtsamkeit oder von Terroristen ausgelöst wurde. „Mir war wichtig, dass der Mensch bei unseren Tests nicht außen vor bleibt“, sagte Oettinger. Analysiert werden etwa die Notstromversorgung und die Kühlsysteme, die im japanischen Kraftwerk Fukushima versagten.

Für die Glaubwürdigkeit werden die Ergebnisse in drei Stufen ausgewertet: Zunächst führen die Kraftwerksbetreiber den Test durch, danach kontrollieren nationale Behörden und schließlich Experten aus anderen Staaten die Ergebnisse.

Umweltschützer und EU-Parlamentarier kritisieren, dass die Tests nicht hart genug seien. Die Linke im Parlament monierte den fehlenden automatischen Abschaltmechanismus. Der SPD-Abgeordnete Bernd Lange sagte: „Stresstests ohne verbindliche Konsequenzen bleiben Makulatur.“ Von einem „Alibi-Test“ sprachen die Grünen.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace verlangte Nachbesserungen: „Die Tests werden nicht unabhängig sein, sie werden keine Notfallpläne umfassen und uns nichts darüber sagen, ob die Kraftwerke terroristischen Attacken standhalten könnten“, sagte Greenpeace-Experte Jan Haverkamp.