Die Türkei nach dem Putschversuch Expertin: Erdogans Aufruf wirkt auf viele Migranten in Deutschland

Auch in Deutschland schwenken Anhänger der türkischen Regierungspartei Fahnen. Einige haben auch Poster von Erdogan dabei. Das wirft Fragen auf.

Migrationsforscherin Bilgin Ayata (Archivfoto)

Migrationsforscherin Bilgin Ayata (Archivfoto)

Foto: Karlheinz Schindler

Berlin (dpa). Die zugespitzte Lage in der Türkei hat auch in Deutschland Tausende Migranten türkischer Herkunft auf die Straße getrieben. Dass in Deutschland mehr Menschen den Demonstrationsaufrufen von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gefolgt sind als in anderen westlichen Staaten, „hat mit der deutschen Migrationsgeschichte zu tun“, sagte die Politologin Bilgin Ayata der Deutschen Presse-Agentur.

Zwar hätten sich auch in Deutschland so wie in Großbritannien oder Schweden politische Flüchtlinge aus der Türkei angesiedelt - darunter Angehörige der kurdischen und der christlichen Minderheit. Die Mehrheit bildeten aber Arbeiter aus Anatolien, die im Zuge der „Gastarbeiteranwerbung“ in die Bundesrepublik gekommen seien. In diesem Milieu hat die islamisch geprägte Regierungspartei AKP in der Türkei viele treue Wähler.

Dass die Spannungen in der alten Heimat zu einem Ausbruch von Gewalt zwischen Anhängern und Gegnern des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland führen werden, glaubt Ayata aber nicht: „Sporadisch werden sicher Konflikte aufbrechen, mehr aber auch nicht.“ Demonstrationen von Migranten aus der Türkei seien schließlich in Deutschland keine neue Erscheinung. „Neu ist aber, dass diesmal von Regierungsseite zu Demonstrationen aufgerufen wird.“

Die Wissenschaftlerin hält es für möglich, dass die politischen Entwicklungen in der Türkei einen neuen Migrationsschub auslösen werden - auch in Richtung Deutschland. „Die Verhaftung von 6000 Menschen, Massenentlassungen und eine Debatte über die Einführung der Todesstrafe - wenn das so weitergeht, werden viele türkische Staatsbürger das Land verlassen, so wie 1980 nach dem Militärputsch“, sagte die Forscherin von der Universität Basel der Deutschen Presse-Agentur. Vor allem Kurden, Aleviten und Liberale fühlten sich zunehmend an den Rand gedrängt. Deutschland sei aufgrund der großen türkischen und kurdischen Gemeinden ein naheliegendes Ziel.

Ayata sagte, nach dem Einzug der pro-kurdischen HDP ins Parlament im Sommer 2015 habe unter den AKP-Gegnern noch eine gewisse Aufbruchstimmung geherrscht. Dieser sei nach den Neuwahlen im November, bei denen die Partei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die Mehrheit im Parlament gewann, einer großen Ernüchterung gewichen. „Bei progressiven, liberalen Kräften erlebt man seither Apathie und politische Depression“, sagte die Politologin. Sollte der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei platzen, könnten sich ihrer Ansicht nach bald auch wieder mehr syrische Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machen.