Strafverfahren Trotz Freispruchs noch mal auf die Anklagebank?

Düsseldorf · Politiker der schwarz-roten Koalition arbeiten an Gesetzesplan für Wiederaufnahme abgeschlossener Strafverfahren

Die DNA-Analyse kann auch Menschen überführen, die längst freigesprochen wurden.

Foto: dpa/Sven Hoppe

Ein wegen Mordes Angeklagter wird freigesprochen. Aus Mangel an Beweisen. Jahrzehnte später ist die Kriminaltechnik so weit, mittels Genanalyse nachzuweisen, dass sich Spuren des Freigesprochenen an der über die Jahre aufbewahrten Kleidung des Tatopfers finden. Jetzt könnte man ihn überführen. Die Justiz darf ihn aber nicht erneut vor Gericht stellen. In Artikel 103 des Grundgesetzes heißt es: „Niemand darf wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.“ Schon die bloße Strafverfolgung, das erneute Vor-Gericht-Stellen eines rechtskräftig Freigesprochenen, ist damit verboten. So die bislang als unumstößlich geltende Rechtspraxis.

Doch diese könnte nun geändert werden. Schon im 2018 von Union und SPD geschlossenen Koalitionsvertrag hieß es: „Wir erweitern die Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten der oder des freigesprochenen Angeklagten in Bezug auf die nicht verjährbaren Straftaten.“ Ein Gesetzentwurf aus SPD und Union soll diesen Plan nun umsetzen. Beschränkt auf Taten wie Mord oder Völkermord. Doch dieser Plan wird noch für Diskussionen sorgen.

Die Rechtslage: Rechtskraft lässt kaum Ausnahmen zu

Sind in einem Fall keine Rechtsmittel mehr möglich, so spricht man von Rechtskraft. Alte Sachverhalte sollen nicht immer wieder neu aufgerollt werden können, zumal die Beweisführung nach Jahren immer schwieriger wird. Allerdings sieht die Strafprozessordnung  schon jetzt Ausnahmen vor. So ist die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten möglich, wenn es neue Tatsachen oder Beweismittel gibt, die einen Freispruch möglich machen. Schon dies passiert höchst selten. Der umgekehrte Fall, die Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten eines Freigespropchenen „funktioniert“ so gut wie nie. Einen solchen Fall sieht das Gesetz vor, wenn der Freigesprochene nachträglich doch noch ein glaubwürdiges Geständnis ablegt. Dass er mit neuer Kriminaltechnik überführt werden könnte, reicht hingegen nicht aus.

Das spricht dafür, alte Urteile nicht anzutasten 

Aber warum ist das Gesetz hier so streng? Der Grundsatz des römischen Rechts  „ne bis in idem“ (nicht zweimal in derselben Sache) ist eine Jahrhunderte alte Entscheidung für die Rechtssicherheit. Dafür wird in Kauf genommen, dass auch freigesprochene Schuldige profitieren. Dies auch vor dem Hintergrund des Nazi-Unrechts. Damals wurde nicht vor erneuter Verfolgung schon abgeurteilter Taten zurückschreckt. Die Durchbrechung der Rechtskraft zum Zwecke härterer Bestrafung war jederzeit möglich.

Stefan Conen vom Deutschen Anwalt-Verein: „Das Grundgesetz hat sich im Spannungsfeld zwischen Rechts­si­cherheit und materieller Gerech­tigkeit eindeutig für die Rechtskraft entschieden.“ Artikel 103 Abs. 3 Grundgesetz verbiete auch die Doppel­ver­folgung nach einem Freispruch. „Für einen ‚Freispruch light‘ unter dem Vorbehalt späterer besserer Erkenntnis gibt es insofern keinen Raum.“

Argumente für das erneute Aufrollen eines alten Falles

Der Bundesarbeitskreis Christlich Demokratischer Juristen (BACDJ) sieht das anders. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der reuige Täter, der ein Geständnis ablegt und dessen Verfahren dann wieder aufgerollt werden kann, schlechter gestellt werde als der raffinierte Täter, der erst viele Jahre nach dem Freispruch durch eine DNA-Analyse überführt werden kann. Dem Vertrauen des freigesprochenen Mörders in den Bestand des Urteils könne kein absoluter Vorrang vor der Gerechtigkeit im Einzelfall eingeräumt werden, wenn die Täterschaft infolge kriminaltechnischer Neuerungen, die im ersten Urteil noch gar nicht berücksichtigt werden konnten, später belegbar geworden ist.

Der BACDJ argumentiert: Der Freispruch eines Mörders könne ebenso gegen das Rechtsempfinden der Allgemeinheit verstoßen, wie die Verurteilung eines in Wahrheit Unschuldigen. Auch liege im strengen Sinne ja auch keine „mehrfache Bestrafung wegen derselben Tat“ vor, die der Artikel 103 des Grundgesetzes ja verbietet. Es werde vielmehr wegen derselben Tat lediglich ein zweites Verfahren durchgeführt. Ein weiteres Verfahren führe zwar zu einer Rechtskraftdurchbrechung, hingegen nicht zur Doppelbestrafung im eigentlichen Sinne. Denn der im ersten Verfahren freigesprochene Täter wird im wieder aufgenommenen zweiten Strafverfahren erstmalig verurteilt.

All diese Argumente werden zur Sprache kommen, wenn der Gesetzentwurf, vermutlich im März, auf den Weg gebracht wird.