Interview Grünen-NRW-Chef Sven Lehmann teilt Vorbehalte gegen Jamaika
Grünen-NRW-Chef Sven Lehmann spricht im WZ-Interview über Erfahrungen in NRW und Prognosen für Berlin.
Herr Lehmann, haben Sie sich mit Ihrem ersten Bundestagsmandat in Berlin bereits zurechtgefunden?
Sven Lehmann: Ich bin gut in Berlin angekommen, gestern haben wir uns zum ersten Mal mit alter und neuer Fraktion getroffen. Jetzt ist viel zu tun — für mich persönlich, aber besonders natürlich politisch.
Sie haben als Landeschef erlebt, wie die Grünen von CDU und FDP im Landtag erbittert bekämpft wurden. Bleibt da nichts hängen?
Lehmann: Doch. Hängen bleibt der Eindruck, dass uns politisch mehr trennt als eint. Klar ist aber auch: Demokraten müssen im Gespräch miteinander bleiben. Und dieser Verantwortung sind wir uns bewusst.
Wollen Sie jetzt ernsthaft mit der FDP und der CSU eine Regierung bilden?
Lehmann: Eine rechnerische Mehrheit ist noch längst keine politische Mehrheit. Wir reden mit allen demokratischen Parteien, das ist selbstverständlich. Es ist jetzt an der Union und Frau Merkel, Mehrheiten für eine Regierungsbildung zu finden. Ganz offenbar muss sie dazu aber erstmal Herrn Seehofer einfangen, der von rechts nach noch weiter rechts will.
Wo sehen Sie Überschneidungen und Einigungspotenzial — und wo liegen CDU, CSU, FDP und Grüne diametral auseinander und ziehen Sie für sich Demarkationslinien, die Grüne nicht überschreiten werden?
Lehmann: Wir haben einen Wählerauftrag für verbindlichen Klimaschutz und den Ausstieg aus Kohle und Verbrennungsmotor. Wir wurden gewählt für mehr soziale Gerechtigkeit, Maßnahmen gegen die zunehmende Armut und eine Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege. Unser Auftrag ist eine humane Flüchtlingspolitik, ein Ende der Rüstungsexporte in Krisengebiete und eine faire Handelspolitik. Und wir stehen für ein soziales, geeintes Europa und eine Abkehr von der harten Sparpolitik.
Fürchten Sie, dass die Grünen ähnlich wie die SPD in einer Koalition an Substanz verlieren könnten — womöglich als viertes Rad am Wagen?
Lehmann: Wir Grüne haben für eine soziale und weltoffene Politik geworben. Gespräche mit drei anderen Parteien rechts der politischen Mitte werden kein Zuckerschlecken. Jamaika ist alles andere als ein Selbstläufer. Und unsere Wählerinnen und Wähler können sich darauf verlassen, dass wir für unsere Politik auch nach der Wahl kämpfen werden.
Bei den Grünen in NRW hört man viele Vorbehalte gegen ein solches Jamaika-Bündnis. Glauben Sie, dass die Basis mitziehen würde, auch in NRW?
Lehmann: Ich teile diese Vorbehalte, vor allem angesichts der neuen Eskapaden der CSU. Wir werden die Einladung zu Gesprächen annehmen, sie allerdings jederzeit abbrechen, wenn die anderen Parteien ihren Rechtskurs fortsetzen wollen. Jetzt schon über einen möglichen Koalitionsvertrag zu spekulieren, halte ich für völlig verfrüht.
Würde es auf jeden Fall eine Mitgliederbefragung geben?
Lehmann: Sollte es einen Koalitionsvertrag geben, werden unsere Mitglieder über diesen abstimmen.
Was halten Sie von der Haltung der SPD, sich sofort in die Opposition zu verabschieden? Verstehen Sie das?
Lehmann: Ich kann es zumindest nachvollziehen. Aber alle demokratischen Parteien sind jetzt in der Verantwortung, miteinander im Gespräch zu bleiben. Das gilt auch für die SPD.