Guttenbergs Radikal-Reform
Der Verteidigungsminister will die Wehrpflicht de facto abschaffen. Eine Entscheidung soll aber erst im Herbst fallen.
Berlin. Es ist schon einigermaßen charakteristisch: Die Kanzlerin, ihr Verteidigungsminister und die meisten Abgeordneten der Koalition betonten am Montag nach der Information durch Karl-Theodor zu Guttenberg, dass eine Vorentscheidung noch nicht getroffen sei. Angela Merkel will vor den Parteitagen von CDU (Mitte November in Karlsruhe) und CSU (letztes Oktober-Wochenende in München) keine Stellungnahme abgeben. Merkel erwarte eine "breite Diskussion", bei der sie sich nicht frühzeitig "festlegen" wolle, so Regierungssprecher Steffen Seibert.
Aber der Verteidigungsminister machte durchaus deutlich, dass er eine "Präferenz" habe: Die Wehrpflicht wird ausgesetzt. Das bedeutet, dass sie juristisch nicht umgesetzt wird. Was sich - je nach Sicherheits- und eventueller Bedrohungslage - jederzeit ändern kann. Aus der Verfassung gestrichen wird sie nicht.
Guttenberg hatte in seinem Haus insgesamt fünf Modelle durchrechnen lassen. Begleitet wurde die Arbeit von Ermahnungen vor allem der Kanzlerin, die Frage der Abschaffung der Wehrpflicht nicht ausschließlich mit der Haushaltslage in Verbindung zu bringen.
Unter den fünf Modellen kamen zwei in die engere Wahl: Neben dem Guttenberg-Favoriten (Reduktion der Truppenstärke von 252 000 auf 163 500, Aussetzung der Wehrpflicht) gab es ein zweites Modell, das eine Armee mit 210 000 Mann vorsah - unter ihnen 30 000 Wehrpflichtige. Damit konnten aber die Sparvorgaben des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble bei weitem nicht erfüllt werden. Bis zum Jahr 2014 muss das Verteidigungsministerium 8,3Milliarden Euro einsparen.
Diese Vorgaben erfüllt Guttenbergs Favorit am ehesten, obwohl er klar machte, dass er die Modelle nicht "nach Kassenlage" hat erstellen lassen: Das Modell aus dem Hause Guttenbergs sieht vor, dass sich die Bundeswehr aus 156 000 Zeit- und Berufssoldaten und 7500 freiwillig ihren Wehrdienst leistenden jungen Männern und Frauen zusammensetzen soll. Sie sollen in einer Art "Schnupper-Wehrdienst" ihre Ausbildung erhalten, an deren Ende die Karriere als Berufssoldat steht.
Ein Problem der Aussetzung des Wehrdienstes ist der Zivildienst: Entfällt die Wehrpflicht, entfällt auch die Pflicht zum Ersatzdienst - ein Graus für die Betreiber von Krankenhäusern, Pflege- und Altersheimen. Immerhin erfüllen zur Zeit knapp 50 000 junge Männer ihren Zivildienst in sozialen Einrichtungen.
Innerhalb der Bundesregierung wird seit längerem verstärkt über eine Umgestaltung des Zivildienstes nachgedacht. CDU-Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (in ihr Ressort fällt überwiegend die Zuständigkeit für den Zivildienst) schlug am Montag erneut einen bundesweit freiwilligen Zivildienst vor. So könnten 35 000 junge Menschen für die Unterstützung von Kranken und Bedürftigen gewonnen werden.