Interview Hannelore Kraft: „Ich freue mich auf den Wahlkampf“
Wirtschaftliche Lage, islamischer Religionsunterricht, Turbo-Abi, Olympia in NRW — die Ministerpräsidentin im Gespräch.
Düsseldorf. Beim Redaktionsbesuch sagt NRW-Regierungschefin Hannelore Kraft (SPD): „Mit den Grünen haben wir dieses Land vorangebracht.“
Frau Ministerpräsidentin, ist die Stimmung im Land besser als die Medien und die Opposition sie vermitteln?
Hannelore Kraft: Ja. Natürlich muss man die Punkte thematisieren, an denen es nicht läuft. Aber wir sind doch ein Land, zu dem die Menschen ein großes Zugehörigkeitsgefühl haben und auch eine Wirtschaft, in der es in weiten Teilen brummt: Düsseldorf, Südwestfalen, Ostwestfalen, die Kölner und Aachener Region. Das immer ins Negative zu ziehen, wird der Sache nicht gerecht.
Aber fehlen denn nicht Visionen? Gibt es nicht das Bedürfnis für einen Neustart? Da sind Sie zurückhaltend.
Kraft: Finde ich nicht. Wir haben ein Zukunftskonzept, an dem wir seit Jahren arbeiten: Digitalisierungsstrategie mit bis zu einer Milliarde Euro bis 2018 für flächendeckendes schnelles Internet, sechs Digitalzentren, Start up-Förderung. 170 Milliarden Euro Investitionen seit 2010 in Kinder, Familien und Bildung. Eine vorbeugende Politik unter dem Leitmotiv „Kein Kind zurücklassen“. Und über 16 Milliarden Euro vom Bund für die Modernisierung der Infrastruktur. Dafür haben wir uns massiv in Berlin eingesetzt. Das ist ja alles nicht vom Himmel gefallen. Und was oft untergeht: Das Engagement für den Erhalt von Arbeitsplätzen. Wir haben mit über 6,5 Millionen ein Rekordhoch bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Wir verteidigen unsere Industriearbeitsplätze in Brüssel und Berlin — und das mit Erfolg. Aber wir können zum Beispiel nicht die Preise für Stahl auf dem Weltmarkt beeinflussen.
Nach den schlechten Nachrichten im Frühjahr über das Null-Wachstum in NRW haben Sie eine wirtschaftliche Bestandsaufnahme angekündigt. Wie steht es darum?
Kraft: Der Bericht, in dem es um die Branchenentwicklung und die regionale Entwicklung geht, kommt im September.
Sie hatten im Frühjahr angekündigt, dass sie auf eine Bekämpfung von Hass im Internet setzen.
Kraft: Es geht generell um das Thema Respekt. Die Web-Community selbst muss sich fragen, wie das eigentlich weitergehen soll mit allen Schmähungen und Hasskommentaren.
. . . die auch Sie persönlich treffen.
Kraft: Ja, aber das ist weniger geworden, seitdem ich strafbare Inhalte konsequent anzeige. Um die gegenseitige Achtung und respektvollen Umgang miteinander zu fördern, veranstaltet die Landesregierung vom 14. bis 18. November 2016 eine „Woche des Respekts“.
Nach den Kölner Silvesterübergriffen wurde Ihnen vorgeworfen, nicht schnell genug reagiert zu haben.
Kraft: Ich habe mich ja geäußert. Der Fehler war, dass ich mich nur schriftlich geäußert habe und nicht vor Kameras getreten bin. Als Regierungschefin kann ich keine Pressekonferenz einberufen, wenn ich die Fakten noch nicht auf dem Tisch habe. Erst nach und nach wurde die Dimension dieses neuen Gewaltphänomens deutlich, es gab auch viele Gerüchte und Falschmeldungen.
Thema islamischer Religionsunterricht: Wann brechen Sie die Gespräche mit Ditib, dem Dachverband der türkisch-islamischen Moscheegemeinden, ab?
Kraft: Beim Thema der Anerkennung als Religionsgemeinschaft läuft das Verfahren weiter. Aber wir werden die Entwicklungen in der Türkei und die Frage der Staatsnähe der Islamverbände in einem Gutachten zusätzlich bewerten lassen. Hinsichtlich Ditib haben sich auch bei mir Zweifel verstärkt. Was den islamischen Religionsunterricht angeht, ist Ditib einer von acht Beteiligten im Beirat. Wichtig ist mir, dass die Kinder ihre religiöse Bildung nicht mehr in Hinterhofmoscheen bekommen, sondern in der Schule in deutscher Sprache und mit deutschen Büchern. Dass wir wissen, was unterrichtet wird, das hat einen hohen Wert.
Was kann man eigentlich mit einem spalterischen Verband anfangen, der mit einem staatsreligiösen Konzept unterwegs ist und permanent darauf beharrt, Ihnen in Ihr politisches Geschäft zu spucken und Integration behindert?
Kraft: Das ist Ihre Wertung. Ich nehme Ditib und auch Mitglieder von Ditib sehr unterschiedlich wahr. Wir dürfen auch nicht den Fehler machen, alles unter einer Überschrift in eine Kiste zu packen.
Sehen auch Sie ein Klima der Angst bei der demokratischen türkischen Opposition hierzulande?
Kraft: Auch ich sehe die Gefahr, dass die Konflikte innerhalb der Türkei hierher getragen werden. Immer wenn wir Kenntnis bekommen von Bedrohungen, werden wir natürlich tätig. Das ist Aufgabe des Rechtsstaats.
Können Sie sich vorstellen, dass Herr Erdogan noch mal in der Kölnarena auftritt?
Kraft: Das müssten Juristen entscheiden.
Aber dazu kann man ja eine politische Haltung haben.
Kraft: Erstens: Bei diesen Auftritten in der Kölnarena handelt es sich um geschlossene Veranstaltungen, bei denen andere Voraussetzungen gelten als bei einer Demonstration. Zweitens: Die Türkei hat ihr Wahlrecht geändert, so dass hier lebende Türken 2015 erstmals bei der türkischen Präsidentschaftswahl ihre Stimme auch hier in Deutschland abgeben konnten. Zugleich wurden Wahlkampagnen im Ausland verboten.
Und wie stehen Sie dazu?
Kraft: Meine Meinung ist: Diejenigen, die hier leben, sind in erster Linie Nordrhein-Westfalen. Darum bemühen wir uns um eine gute Integration hier bei uns. Ein wichtiges Signal wäre ein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger in NRW, vor allem also für Türken. Doch das scheitert an CDU und FDP.
Wie schädlich ist für Ihre Partei das, was wir gerade in Essen erlebt haben: Den Fall Petra Hinz und die Rolle des Essener SPD-Chefs und Justizministers Kutschaty?
Kraft: Thomas Kutschaty hat sich klar verhalten in dieser Frage. Das war wichtig, auch um Schaden von der Partei abzuwenden. Er hat sich immer wieder klar geäußert. Petra Hinz ist eine sehr gute Abgeordnete gewesen, aber sie hat einen sehr großen Fehler begangen. Es wäre wichtig gewesen, dass sie schnell und sauber einen Schlussstrich zieht. Das war am Anfang nicht der Fall. Solche Vorgänge schaden nicht nur der SPD, sondern der Politik insgesamt.
Die FDP macht das Turbo-Abi zum Wahlkampfthema und will Wahlfreiheit der Schulen für eine acht- bzw. neunjährige Gymnasialschulzeit. Was ist Ihre Position?
Kraft: Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet die FDP da eine Rolle rückwärts macht. Ich kann mich gut daran erinnern, wie massiv gerade die FDP damals G 8 eingefordert hat. Es ist wichtig, für Stabilität in der Schulpolitik zu sorgen und Lehrer, Eltern und Kinder nicht einem ständigen Hüh und Hott auszusetzen. Darum haben wir mit dem Runden Tisch Vorschläge zur Entlastung der Situation entwickelt, um nicht wieder alles ummodeln zu müssen. Schulministerin Löhrmann will nun den Runden Tisch wieder einberufen, um mit allen Beteiligten zu besprechen, ob es bei der bisherigen Linie bleiben soll. Auch weise ich darauf hin, dass man bei uns jederzeit G 9 machen kann, wenn man das will: an den Gesamtschulen und Sekundarschulen.
Ist eine Wahlfreiheit der Schulen denn überhaupt praktikabel?
Kraft: Auch diese Frage muss gestellt werden. Denn dann würden ja die Eltern der jetzigen Schüler für die der nächsten Generation entscheiden. Was aber, wenn diese Generation das dann wieder völlig anders bewertet?
Es wird darüber diskutiert, Olympia 2028 nach NRW zu holen. Stehen Sie wirklich hinter dieser Idee?
Kraft: Ich bin eine große Freundin des Sports, habe jetzt auch nachts viele Übertragungen aus Rio geguckt. Wir in NRW wären ein fantastischer Gastgeber und hätten ein fantastisches, sportfanatisches Publikum. Wir haben viele Stadien, eine Grundstruktur, die ihresgleichen sucht. Doch da ist auch die Frage der Akzeptanz. Die Bevölkerung müsste da mitgehen. Dafür müssten auch strukturelle Veränderungen am Konzept Olympia vorgenommen werden. Das ist erst mal Sache des IOC, Stichworte Doping, Korruption. Und wie soll das eigentlich weitergehen: Bleibt es beim Gigantismus Olympia oder wird man bürgernäher, ökologischer. Da wäre NRW prädestiniert. Es muss aber auch eine realistische Chance geben. Entscheidend ist die Haltung des DOSB, und dann machte eine Bewerbung nur Sinn, wenn 2024 keine europäische Ausrichterstadt nominiert wird.
Werden Sie wieder Spitzenkandidatin?
Kraft: Ich mache es, wenn der Parteitag mich im Februar dazu bestimmt.
Sind Sie eigentlich noch gern Ministerpräsidentin?
Kraft: Ja klar, und ich freue mich auf den Wahlkampf. Ich mache gern Wahlkampf. Das ist die beste Zeit, um über Inhalte zu reden. Und ich lerne da viel in den Gesprächen mit den Bürgerinnen und Bürgern am Wahlkampfstand.
Wir nehmen zunehmend wahr, dass es Absetzbewegungen Ihrer SPD zum grünen Koalitionspartner gibt.
Kraft: Nein. Wir sind zwei verschiedene Parteien mit zwei verschiedenen Programmen. Dass jeder vor dem Wahlkampf auch stärker auf die eigenen Inhalte schaut, ist ein normaler Prozess. Ich kämpfe für eine starke SPD. Und am Ende würde ich mich freuen, wenn es wieder zusammen mit den Grünen reicht. Dann werden wir wieder zusammensitzen, hart verhandeln und Kompromisse finden.
Ist das eine Koalitionsaussage?
Kraft: Wir sind uns einig: Wir betreiben keine Ausschließeritis, und es gibt keine Koalitionsaussagen vorab. Aber mit den Grünen haben wir dieses Land vorangebracht.