Analyse: Wenn ein höchster Richter laut nachdenkt
Ferdinand Kirchhof schlägt eine Grundgesetzänderungzu Einsätzen der Bundeswehr im Innern vor. Ein brisanter Vorgang.
Karlsruhe. Bundeswehreinsatz im Innern — wenn der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts diese Diskussion neu anstößt, so ist das brisant — wegen des Themas und wegen der Funktion von Ferdinand Kirchhof.
Im Interview mit dem „Hamburger Abendblatt“ sagte der Verfassungsrichter: „Die Streitkräfte könnten bestimmte polizeiliche Aufgaben übernehmen, etwa den Schutz gefährdeter Objekte. Um effizienter auf neue Bedrohungslagen reagieren zu können, sollte über eine Grundgesetzänderung nachgedacht werden.“
Das Grundgesetz verbietet den Einsatz der Bundeswehr im Innern. Nur ausnahmsweise dürfen hier Soldaten zum Einsatz kommen. Bei der Abwehr von Naturkatastrophen und „bei einem besonders schweren Unglücksfall“.
Angesichts von Terrordrohungen argumentiert etwa Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU): „Wenn die Bundeswehr etwas kann, was die Polizei nicht kann und was für die Sicherheit zuträglich ist, sollte man die Streitkräfte auch einsetzen.“ Neben dem Objektschutz kommt für Bouffier in Frage, dass „die Luftwaffe verdächtige Flugzeuge abdrängt oder einnebelt“.
Das grundsätzliche Verbot, Soldaten im Innern einzusetzen, soll die Gefahr bannen, dass eine Neben-Macht im Staate entsteht. Jeder Schritt in Richtung Einsatz im Innern könnte weitere Begehrlichkeiten wecken. Unter Hinweis auf eine überlastete Polizei könnte die Bundeswehr als Notpolizei etabliert werden. Am Ende könnte stehen, dass wir auch bei uns Bilder zu sehen bekommen, wie wir sie aus Militärdiktaturen kennen: Soldaten an Straßensperren, Soldaten bei der Durchsuchung von Wohnungen. Soldaten, die einen klaren Kampfauftrag bis hin zum Töten des Gegners haben, im Einsatz gegen die eigenen Bürger.
Dass ein Verfassungsrichter das Thema anspricht, ist brisant, weil er später mit diesem Fall befasst sein könnte. Der Gesetzgeber kann die Äußerung als Signal mit dieser Lesart verstehen: Macht ruhig eine entsprechende Grundgesetzänderung — wir werden sie auch bei einer späteren Verfassungsklage nicht stoppen. Grundsätzlich gilt: Ein Verfassungsrichter hat über eine ihm vorgelegte Frage zu entscheiden — im Nachhinein. Seine Aufgabe ist nicht, einem anderen Verfassungsorgan, dem Parlament, vorher Ratschläge zu erteilen.