Armutskluft zwischen den Bundesländern wird größer
Berlin (dpa) - Zu Weihnachten präsentieren die Wohlfahrtsverbände ihren aktuellen Armutsbericht. Fazit: Die Armut nimmt zu - anders als von der alten Regierung dargestellt. Von den im Grundgesetz verlangten gleichen Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik könne keine Rede sein.
Die Kluft zwischen Arm und Reich in der deutschen Gesellschaft wird nach einer aktuellen Studie der Wohlfahrtsverbände immer größer. Zugleich verschärft sich zwischen den 16 Bundesländern das Einkommensgefälle erheblich: Während in Bremen mit 23,1 Prozent fast schon jeder Vierte als von Armut bedroht gilt, sind dies in Baden-Württemberg nur 11,1 Prozent der Bevölkerung, in Bayern 11,2 Prozent. Bundesweit gelten 15,2 Prozent der Einwohner als armutsgefährdet.
Dies geht aus dem „Armutsbericht 2013“ hervor, den der Paritätische Wohlverbandsverband zusammen mit der Nationalen Armutskonferenz am Donnerstag in Berlin vorgelegt hat.
Verbandsgeschäftsführer Ulrich Schneider sprach von einem besorgniserregenden Anstieg. „Deutschland war noch nie so gespalten wie heute.“ Auch das Ausmaß der regionalen Zerrissenheit von Bundesland zu Bundesland wie zwischen Land und städtischen Ballungsgebieten habe eine neue Qualität erreicht.
2006 lag laut Bericht die bundesweite Armutsquote erst bei 14 Prozent. Als von Armut bedroht gilt, wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zu Verfügung hat. Zur Zeit sind dies - je nach Berechnungsformel - weniger als 869 Euro im Monat (Singlehaushalt), beziehungsweise weniger als 1 826 Euro (Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren).
Grundlage für die Untersuchung bildet der jüngste Mikrozensus (kleine Volkszählung). Nach den erst am Dienstag vom Statistischen Bundesamt auf anderer Datenbasis vorgelegten Zahlen gelten sogar 19,6 Prozent der Bevölkerung in Deutschland als von Armut bedroht.
Als Konsequenz von dem wachsenden Gefälle zwischen einzelnen Bundesländern und auch zwischen Land und Ballungszentren forderte Schneider „die gezielte finanzielle Förderung notleidender Kommunen sowie ein Paket von Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und zum Erhalt der sozialen Infrastruktur vor Ort.“ Von der im Grundgesetz geforderten Gleichheit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik könne keine Rede mehr sein, heißt es in dem Armutsbericht.
Im Ruhrgebiet - mit fünf Millionen Einwohnern das größte Ballungsgebiet Deutschlands - nahm laut Bericht die Armutsquote noch einmal zu und liegt demnach jetzt bei 19,2 Prozent. Hier zeige sich „eine völlig ungebremste Armutsentwicklung“, so die Autoren.
„Ganze Regionen befinden sich in Abwärtsspiralen aus wachsender Armut und wegbrechender Wirtschaftskraft“, sagte Schneider. Nötig sei eine gezielte finanzielle Förderung und soziale Programme, um der Verödung entgegenzuwirken. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD lasse völlig offen, wie den betroffenen Kommunen und Regionen geholfen werden soll, kritisierte Schneider. „Der Ausschluss von Steuererhöhungen gleich zu Beginn der Koalitionsverhandlungen ist der Geburtsfehler dieses Regierungsbündnisses.“
Die Autoren verweisen darauf, dass die alte Bundesregierung in ihrem noch vor der Wahl vorgelegten 4. Armuts- und Reichstumsbericht behauptet habe, dass sich die Einkommensschere wieder schließe. Tatsächlich belegten aber die neuen Daten das Gegenteil. Mit der bundesweiten Armutsquote von 15,2 Prozent sei „ein neuerliches, trauriges Rekordhoch erreicht“ worden.
Im Bundesländervergleich folgt hinter Baden-Württemberg und Bayern ein großes Mittelfeld, dass sich plus/minus drei Prozentpunkte um den bundesweiten Mittelwert gruppiert. Dies sind Hessen (13,2 Prozent), Schleswig-Holstein (14), Rheinland-Pfalz (14,6) und Hamburg (14,8) mit unterdurchschnittlichen Armutsquoten - sowie die Länder Saarland (15,8) Niedersachsen (16) und Nordrhein-Westfalen (16,6) und Thüringen (16,9) mit Werten leicht über dem Bundesschnitt.
Gleich sechs Länder liegen mit mehr als drei Prozentpunkten ganz deutlich darunter: Brandenburg (18,3), Sachsen (18,9), Sachsen-Anhalt (20,9), Berlin (21,2) sowie die Schlusslichter Mecklenburg-Vorpommern (22,9) und Bremen (23,1).