„Ich bin ja auch Verletzter“ - Mundlos' Vater greift Richter an
Vor Gericht kämpft Siegfried Mundlos um das Andenken seines Sohnes, des toten NSU-Terroristen Uwe Mundlos. Dabei verheddert er sich in Verschwörungstheorien, beleidigt den Richter und erklärt am Ende seinen Sohn zum Opfer.
München. Dass der Zeugenauftritt von Siegfried Mundlos eher ungewöhnlich wird, deutet sich schon an, als der frühere Informatikprofessor in den Gerichtssaal kommt. Der 67-Jährige - vor Gericht trägt er einen grauen Anzug und eine Krawatte mit Krawattennadel - nimmt etwas umständlich Platz, dann holt er eine Wasserflasche, einen Plastikbecher und einen Apfel aus seiner ledernen Aktentasche und legt sie auf dem Tisch. Der Apfel sollte später noch eine Rolle spielen, bevor die Sache dann für kurze Zeit völlig aus dem Ruder läuft.
Siegfried Mundlos ist der Vater von Uwe Mundlos, einem der mutmaßlichen Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Sein Sohn ist tot. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt haben sich am 4. November 2011 erschossen, als sie von der Polizei umstellt waren. Siegfried Mundlos soll als Zeuge etwas zum Werdegang seines Sohnes sagen und damit vielleicht ein wenig erklären helfen, wie im Jena der 90er Jahre eine Gruppe entstand, die am Ende laut Anklage zehn Menschen ermordete.
Siegfried Mundlos will aber offensichtlich etwas anderes: Er will das Andenken seines Sohnes verteidigen. Vor dem Gericht, vor der Öffentlichkeit. Gleich zu Beginn möchte er eine Erklärung abgeben: Presse und Bundesanwaltschaft sollten die Unschuldsvermutung beachten. Richter Manfred Götzl stoppt ihn. „Es geht nicht, dass Sie bestimmen, wie der Gang der Verhandlung ist, weil Sie offensichtlich nicht vorhaben, hier die Zeugenrolle einzunehmen.“ „Ich bin nicht nur Zeuge, ich bin ja auch Verletzter mit meiner Familie.“
Das gibt den Ton vor. Siegfried Mundlos sieht sich als Opfer. Und ähnlich wie einige Verhandlungstage zuvor Brigitte Böhnhardt sieht auch er seinen Sohn vor allem als Opfer der Umstände. Ehrlich sei Uwe Mundlos gewesen und etwas naiv, schildert der Vater, „sehr lieb“ zu seinem behinderten Bruder. Er hat sogar eine Urkunde aus dessen Bundeswehrzeit mitgebracht, „die zeigt, dass der Panzergrenadier Mundlos nicht nur negativ aufgefallen ist“.
Schuldige sieht der Vater vor allem beim Verfassungsschutz, der die rechte Szene mit finanziert habe. Sein Sohn sei nicht misstrauisch geworden, trotz des Geldes, das unter anderem vom V-Mann Tino Brandt kam. Eine halbe Stunde nach Beginn der Vernehmung beißt Siegfried Mundlos in seinen Apfel. „Wenn Sie jetzt Hunger haben dann unterbreche ich und wir machen eine Pause für zehn Minuten“, sagt Götzl.
Er bleibt ruhig, kommt aber nach der Pause wieder darauf zurück: „Ich mache das Geschäft auch schon ziemlich lange, aber ich muss ihnen sagen, dass Sie der erste Zeuge sind, der hier seine Brotzeit auspackt.“ Neben dem Verfassungsschutz scheint Siegfried Mundlos für sich noch einen weiteren Schuldigen gefunden zu haben: die Familie Böhnhardt. Uwe Böhnhardt sei eine „tickende Zeitbombe“ gewesen.
„Ich meine, dass mit dem jungen Mann in irgendeiner Weise etwas schief gelaufen ist, was ich nicht erklären kann.“ Freunde seines Sohnes aus der rechten Szene hätten ihn gewarnt. Sein Sohn habe nicht gewusst „was für eine gefährliche Person ihm zur Seite gestellt worden ist“. „Warum haben Sie das nicht mit ihrem Sohn besprochen?“, fragt Götzl. Eine naheliegende Frage.
Doch Siegfried Mundlos verliert die Fassung: „Sie sind ein kleiner Klugsch...“, sagt er mit gepresster Stimme. Er spricht das Wort nicht zu Ende, aber es ist klar, was er meint. Götzl droht ihm mit Ordnungsmitteln. Doch Mundlos gibt nicht klein bei. „Sie könnten mich ruhig Professor Mundlos nennen.“ Götzls Reaktion: „Nein, ich nenne sie Doktor Mundlos, ich nenne Sie bei Ihrem Namen.“ Götzl bleibt bestimmt, und er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
Er fragt einfach weiter. Er kann allerdings nicht verhindern, dass Mundlos sich in zunehmend wirren Andeutungen über Verschwörungen verliert. Der Bombenfund in der Garage des Trios im Jahr 1998 - eine „Propagandalüge“. Die Beobachtung seines Sohnes durch den Verfassungsschutz - „Psychoterror“. Und immer wieder Anschuldigungen gegen die Mutter von Uwe Böhnhardt, die mit dafür verantwortlich sei, dass sich die drei nicht gestellt hätten.
Dann sagt Mundlos, er wolle sich an die Angehörigen wenden. „Ich kann Ihnen versichern, dass ich ganz tief mitempfinden kann“, sagt er. „Ich kann auch erst dann ruhig leben, wenn ich genau weiß, was hinter der Sache steht.“ Und dann spricht er doch direkt zu den Vertretern der Bundesanwaltschaft. Davon, dass die Rolle des Verfassungsschutzes geklärt werden müsse. Er verheddert sich, und anscheinend muss irgendjemand unten im Saal schmunzeln.
„Das ist nicht zum Lachen, das ist traurig, es sind zehn Tote zu beklagen. Das heißt eigentlich zwölf Tote.“ Siegfried Mundlos ist Vater. Er muss nicht objektiv sein, er darf für seinen Sohn kämpfen. Er darf auf die Unschuldsvermutung pochen. Doch an diesem Nachmittag erklärt er Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu Opfern.