Verfassungsschützer will von NSU-Mord nichts bemerkt haben

München (dpa) - Der Auftritt eines ehemaligen Verfassungsschützers im NSU-Prozess lässt Fragen offen - zu unwahrscheinlich klingen seine Angaben. Er wird nochmals aussagen müssen.

Er war in unmittelbarer Nähe, als Halit Yozgat in einem Internetcafé in Kassel von NSU-Terroristen erschossen wurde - doch der ehemalige Verfassungsschützer Andreas T. will von dem Mord nichts mitbekommen haben. Er habe erst später aus der Zeitung von dem Verbrechen erfahren, sagte der 46-Jährige als Zeuge vor dem Oberlandesgericht München. Er sei dann aber irrtümlich davon ausgegangen, dass er nicht am Tattag, sondern 24 Stunden zuvor in dem Café war. Er habe sich auch deshalb nicht als Zeuge gemeldet, weil er fürchtete, seine Frau könnte von seinen Besuchen in Flirtforen erfahren.

Die Anwesenheit des Verfassungsschützers war Anlass für Spekulationen. Hinzu kam, dass sich die Ermittler vergeblich bemühten, die V-Leute vernehmen zu dürfen, die T. führte. Der damalige Innenminister Volker Bouffier (CDU) entschied, die Enttarnung der V-Leute bedeute ein Sicherheitsrisiko. Die Ermittlungen gegen Andreas T. wurden 2007 eingestellt. Mittlerweile arbeitet er nicht mehr für den Verfassungsschutz. Die Anklage im NSU-Prozess geht davon aus, dass er zufällig am Tatort war.

Der 46-Jährige hatte sich nach dem Mord nicht bei der Polizei gemeldet. Er konnte jedoch über die Internetprotokolle und sein Nutzerkonto in einem Chatforum ermittelt werden. Nach den Ermittlungen der Polizei spricht alles dafür, dass er im hinteren Teil des Cafés saß und im Internet surfte, als Halit Yozgat erschossen wurde.

Während andere Gäste zumindest einen dumpfen Knall hörten - den sie aber nicht zuordnen konnten - will T. überhaupt nichts mitbekommen haben. Nachdem er sich ausgeloggt hatte, habe er Yozgat gesucht, um zu bezahlen. Schließlich habe er einfach 50 Cent auf die Theke gelegt.

Die 50 Cent wurden tatsächlich auf dem Tisch gefunden. Dahinter lag der erschossene Halit Yozgat. Laut Anklage haben ihn die Neonazi-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen. Er war das neunte und letzte Opfer der Mordserie an türkisch- und griechischstämmigen Geschäftsleuten. Beate Zschäpe ist als Mittäterin an sämtlichen Anschlägen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) angeklagt. Sie soll für die legale Fassade des Trios gesorgt haben.

Andreas T. will nichts von dem Mord gemerkt haben. Auch als er drei Tage später von dem Verbrechen in der Zeitung las, meldete er sich nicht bei der Polizei. Er habe versucht zu rekonstruieren, wann er in dem Café war - und sei zu dem Ergebnis gekommen, das es wohl einen Tag vorher war. „Im Grunde ging es mir so wie jedem anderen, der denkt, das kann doch gar nicht sein. Dieses Problem, das jeder andere hat, mir zu glauben, das hatte ich im Grunde selber“, versuchte er zu erklären.

„Es wurde mir später bewusst, dass es falsch war, mit niemandem zu sprechen“, sagt er. Er habe Angst um seine Beziehung gehabt, „weil ich jung verheiratet war und das mit dem Chatten nicht richtig gewesen ist“. Außerdem habe er dienstliche Nachteile befürchtet. In der Nähe des Cafés gab es eine Moschee, die vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. „Es gehört nicht zu dem Verhalten eines gut arbeitenden V-Mann-Führers, sich in der Nähe eines Objekts aufzuhalten, wo man Personen treffen kann.“

Der Vorsitzende Richter fragte mehrmals nach und machte deutlich, dass er die Erklärung für nicht sehr überzeugend hält. Doch der Zeuge blieb bei seiner Version. Opferanwälte hatten zunächst beantragt, noch vor der Vernehmung weitere Akten sehen. Schließlich waren sie jedoch einverstanden, mit der Vernehmung zu beginnen. Die Vernehmung T.s soll an einem anderen Termin fortgesetzt werden.

Am Vormittag hatte der Vater des ermordeten Halit Yozgat geschildert, wie er seinen Sohn erschossen in seinem Internetcafé fand. Er sei am späten Nachmittag in den Laden gekommen, um seinen Sohn abzulösen, der die Abendschule besuchte. Dort habe der 21-Jährige in seinem Blut hinter dem Empfangstisch gelegen. „Ich habe meinen Sohn in meine Arme genommen, aber er hat keine Antwort gegeben“, rief der sichtlich aufgewühlte Ismail Yozgat auf Türkisch. Er sprang vom Zeugenstuhl auf und rief immer wieder: „Er hat keine Antwort gegeben!“