Cannabis-Freigabe zu therapeutischen Zwecken Aspirin und fünf Gramm Gras, bitte
Schmerzpatienten bald unkomplizierter möglich sein als heute.
Düsseldorf. Es ist ziemlich ungewöhnlich, dass der Chef einer deutschen Behörde offen zum Systembruch aufruft. Peter Cremer-Schaeffer (48) hat das getan, sehr explizit sogar und zum Nachlesen. Aber als Privatmann, wie der ehemalige Anästhesist und Palliativmediziner betont. Seit dem Jahr 2009 leitet Cremer-Schaeffer die sogenannte Bundesopiumstelle, die zum Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und damit zum Bundesministerium für Gesundheit gehört. Die Bundesopiumstelle kontrolliert gewissermaßen den Betäubungsmittelverkehr in Deutschland.
Zum Systembruch kann der Mediziner in dieser Position nicht aufrufen — dennoch plädiert Cremer-Schaeffer in seinem Buch („Cannabis. Was man weiß, was man wissen sollte“, Hirzel, ab 14,80 Euro) dafür, Cannabis für medizinische Zwecke verstärkt einzusetzen — und auch für eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen. Für die einen eine harmlose Droge, ein Genussmittel ähnlich wie Alkohol; für andere sind die Blüten der Cannabispflanze oder das Harz, das als Haschisch konsumiert wird, ein Teufelszeug, das in die Abhängigkeit von harten Drogen wie Heroin oder Kokain führt, eine Einstiegsdroge eben. Für eine dritte Gruppe hingegen ist Cannabis eine Medizin, die ihre Leiden zwar nicht heilen, aber deutlich lindern und so die Lebensqualität verbessern kann. Für diese Menschen, für schwerst- und oder chronischkranke Patienten, fordert der Mediziner Cremer-Schaeffer nun einen Systembruch.
Seit dem Jahr 2005 ist bei bestimmten Diagnosen wie etwa Multipler Sklerose oder für Schmerzpatienten der Einsatz von Cannabis, meist als fertiges Medikament, seltener auch als Cannabisblüte oder -extrakt, zu therapeutischen Zwecken erlaubt. Während für sogenannte Cannabinoidmedikamente wie Dronabinol, Nabilon oder Nabiximols ein einfaches ärztliches Rezept erforderlich ist, braucht es für den Gebrauch von Cannabisblüten — Kiffer sagen dazu Gras — eine Ausnahmegenehmigung des BfArM. Weniger als 600 Patienten in Deutschland besitzen derzeit eine solche.
Wird ein Gesetzentwurf Wirklichkeit, der zurzeit das „EU-Notifizierungsverfahren“ durchläuft, könnte sich das ändern. Dann werden deutlich mehr Menschen unkomplizierteren und günstigeren Zugang zu den Medikamenten, aber auch zu Cannabisblüten haben. Eine bundeseigene Agentur soll Ankauf, Weiterverarbeitung, Abgabe und die Preisgestaltung überwachen. Zwischen 20 und 30 Euro kostet heute ein Gramm Gras in der Apotheke, beim Dealer ums Eck ist dieselbe Menge für weniger als die Hälfte zu haben.
Cremer-Schaeffer geht davon aus, das die ärztliche Versorgung mit Cannabis sich künftig weiten wird — die sich abzeichnende Gesetzesänderung scheint das zu bestätigen. Er plädiert zudem für eine verstärkte Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen. „Es ist nicht akzeptabel, dass eine Therapie, die vielleicht die letzte Chance zur Verbesserung der Lebensqualität eines Patienten darstellt, nur den Wohlhabenden zur Verfügung steht.“
Der Deutsche Hanfverband steht der geplanten Neuregelung „im Großen und Ganzen positiv“ gegenüber. „Dieser Schritt war längst überfällig“, meint Lobbyist Georg Wurth, Chef und Gründer des Deutschen Hanfverbandes. Er kritisiert allerdings, dass der Eigenanbau von Cannabis auch weiterhin tabu bleiben soll. Für ihn ist die Zucht in Hobbykeller oder Küche die günstigere und bessere Alternative als der Gang zur Apotheke. „Patienten wissen in der Regel am besten, welche Sorte ihnen am besten hilft“, sagt Wurth. Merke: Cannabis ist nicht gleich Cannabis.
Wurth sieht keine Gefahr, dass der Freigabe für medizinische Zwecke eine allgemeine auf dem Fuß folge. „Das sind zwar die Ängste der Politik, aber das ist ganz sicher kein Automatismus.“