Atomkommission für Ausstieg binnen zehn Jahren
Berlin (dpa) - Die Ethikkommission zur Energieversorgung empfiehlt der Bundesregierung einen Atomausstieg innerhalb der nächsten zehn Jahre. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Samstag nach der Abschlusssitzung aus dem Umfeld der Kommission, die von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eingesetzt worden war.
Der Bericht des „Rats der Weisen“ ist für die Regierung eine wichtige Basis für ihre Entscheidung zum Atomausstieg. Diese fällt womöglich am Sonntag. Ein Jahrzehnt reiche für den Ausstieg, so die Kommission.
Am Montag wird der Abschlussbericht der Ethikkommission offiziell übergeben und abends mit Bürgern öffentlich diskutiert. Das Gremium ist der Überzeugung, dass der fehlende Atomstrom anderweitig ersetzt werden kann, auf ein konkretes Enddatum wird aber verzichtet. Wie auch von der Kommission vor Wochen angeregt, wirbt die FDP dafür, abgeschaltete AKW als „kalte Reserve“ zu behalten, um für den Fall von Strom-Engpässen gewappnet zu sein.
In 21 Städten demonstrierten am Samstag nach Veranstalterangaben 160 000 Menschen für einen Atomausstieg ohne Hintertüren. Sie forderten Kanzlerin Merkel auf, ohne jede Verzögerung das Ende der Atomenergienutzung in Deutschland durchzusetzen. Bei der größten Veranstaltung beteiligten sich in Berlin 20 000 bis 25 000 Menschen.
Der Vorsitzende der Ethikkommission, Klaus Töpfer, kritisierte am Rande der Abschlusssitzung in Berlin, dass nur noch über eine Jahreszahl für den Ausstieg aus der Kernenergie diskutiert werde. Wichtig sei letztlich ein Beschluss, „der über die nächsten Wahlen hinaus trägt“, sagte der frühere CDU-Bundesumweltminister. Matthias Kleiner, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und Co-Vorsitzender der Kommission, betonte, es sei weit entscheidender, die Machbarkeit der Energiewende zu diskutieren. „Wie sieht die Energiezukunft Deutschlands aus, das ist die Kernfrage.“
Merkel bekommt die endgültigen Ergebnisse am Samstagabend oder Sonntag. Auf dieser Basis könnten Sonntagabend beim Koalitionstreffen im Kanzleramt die Würfel in der Atomfrage fallen. Es wird erwartet, dass die Bundesregierung ein sofortiges Aus für bis zu acht AKW anstrebt und zudem ein Ausstiegsdatum in der ersten Hälfte des nächsten Jahrzehnts anpeilt. Die Atomsteuer könnte letztlich bleiben.
Der Ausstiegszeitraum von zehn Jahren könne deutlich verkürzt werden, wenn man zügige Fortschritte mache, betont die Kommission. Dann könne das letzte AKW deutlich eher vom Netz genommen werden. Die CSU hatte sich für 2022 als Enddatum ausgesprochen.
Töpfer zeigte sich überzeugt, dass das Ergebnis für die Atomentscheidung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) großes Gewicht haben wird. In dem „Rat der Weisen“ sitzen hochrangige Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und der Kirchen. Er war von Merkel nach der Katastrophe von Fukushima eingerichtet worden.
Die Kommission fordert mehr Geld für die Gebäudesanierung, um in diesem Bereich Energie zu sparen. Zur Beschleunigung des Netzausbaus wird vorgeschlagen, dass betroffene Kommunen Steuergelder bekommen. Zudem wird die Berufung eines Parlamentarischen Beauftragten für die Energiewende und die Einrichtung eines „Nationalen Forums Energiewende“ vorgeschlagen. Zudem empfiehlt die Ethikkommission eine bundesweite Endlagersuche für hoch radioaktiven Atommüll. Außer Gorleben sollten auch andere Standorte erkundet werden.
FDP-Chef Philipp Rösler sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, man müsse die Versorgungssicherheit im Blick haben. Ein bis zwei abgeschaltete Kraftwerke könnten daher für eine gewisse Zeit im kalten Stand-by-Modus bleiben und nicht sofort rückgebaut werden, sagte Rösler. „Sie bleiben heruntergefahren, erhalten sich aber die Fähigkeit, innerhalb kurzer Zeit wieder hochgefahren zu werden.“
Zudem sprach sich der Wirtschaftsminister dafür aus, dass wie bisher die Übertragung von Reststrommengen von alten auf neue AKW möglich sein soll: „Diese Möglichkeit sollten wir aus verfassungsrechtlichen Gründen, aber auch aus Gründen der Versorgungssicherheit nicht einschränken“. Durch die Übertragung können einzelne Meiler bisher länger als vorgesehen laufen.
Der RWE-Vorstandsvorsitzende Jürgen Großmann kritisierte die mangelnde Zusammenarbeit der Regierung mit den Energieunternehmen. Die Energiekonzerne würden „derzeit in sehr geringem Maße“ in die Vorbereitungen des Gesetzes zum Atomausstieg einbezogen, sagte Großmann der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, begrüßte die Empfehlungen der Kommission. Er habe aber Zweifel, „ob es Merkel gelingt, diese Position in der Koalition durchzusetzen“.