Atommüll-Endlagersuche startet von Neuem
Berlin (dpa) - Die Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll in Deutschland beginnt von vorn. Grund sind die Zweifel am seit 1977 als einzige Option im Fokus stehenden Salzstock Gorleben.
Am Donnerstag nahm eine beim Bundestag angesiedelte 33-köpfige Fachkommission ihre Arbeit auf, die bis 2016 die Kriterien für die Suche erarbeiten soll. „Es gibt gemütlichere Aufgaben“, sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) angesichts der enorm komplexen rechtlichen, technischen und politischen Fragen.
Lammert appellierte, Empfehlungen mit größtmöglicher Mehrheit zu treffen. Dann wachse die Wahrscheinlichkeit, dass der Gesetzgeber diese umsetze - geplant ist, dass das Endlagergesetz entsprechend überarbeitet wird. Er mahnte, nicht jahrelang in der Kommission zu beraten. „Auch bei komplexen Fragestellungen wächst die Wahrscheinlichkeit nicht mit der Dauer der Beratungen.“ Wenn es zu diesem Thema einen breiten gesellschaftlichen Konsens gäbe, „hätten wir diese Kommission nicht gebraucht“, betonte Lammert.
In der Kommission sitzen je acht Bundestagsabgeordnete, acht Ländervertreter, acht Wissenschaftler und acht Vertreter der Zivilgesellschaft, darunter Gorleben-Befürworter und Gegner. Nur die 16 Vertreter aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft sind stimmberechtigt.
Durch eine Festlegung auf bestimmte infrage kommende Wirtsgesteine, etwa Salz und Ton, könnte der Suchraum eingeengt werden - besonders in Norddeutschland liegen viele mögliche Endlagerregionen. Auf Basis der Empfehlungen beginnt ab 2016 oder 2017 die eigentliche Suche, 2023 soll der Bundestag die „Final-Standorte“ festlegen, die unter Tage erkundet werden.
„Wollen wir den gemeinsamen Erfolg, das ist die Frage, die über allem steht“, sagte die frühere Parlamentarische Umwelt-Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser (CDU), die im Wechsel mit Michael Müller (SPD) den Vorsitz der Endlager-Kommission hat. Angesichts der jahrelangen Grabenkämpfe betonte sie: „Lassen Sie uns diese historische Chance gemeinsam wahrnehmen.“ Man brauche ein Grundvertrauen zueinander und müsse einander zuhören. Wegen Differenzen hatte sich der Start der Kommission um fünf Monate verzögert.
Bis 2031 soll ein Endlager gefunden sein. Nachdem in Gorleben schon 1,6 Milliarden Euro investiert worden sind, wird mit Kosten von mindestens zwei Milliarden Euro für die Suche gerechnet. Auch Gorleben bleibt bei der neuen Suche im Rennen, weshalb mehrere Umweltverbände, darunter Greenpeace, den Neuanfang boykottieren.
Kritiker warnen vor einem unzureichenden Deckgebirge und fürchten Wassereinbrüche wie im früheren Versuchslager für schwach- und mittelradioaktiven Müll, der Asse. Schließlich geht es bei hoch radioaktivem Müll um Sicherheit für eine Million Jahre.
In der konstituierenden Sitzung ging es vor allem um Verfahrens- und Geschäftsordnungsfragen: In der Regel soll in Berlin getagt werden, die nächste Sitzung wurde für den 30. Juni terminiert.
Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, rechnet damit, dass ein Endlager für hoch radioaktiven Müll frühestens 2050 betriebsbereit ist. „Das wäre sehr ambitioniert“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Alle früheren Zeitvorstellungen haben sich als falsch erwiesen.“
Kommissionsmitglied Ulrich Kleemann rechnet mit einem Aus für Gorleben aus wissenschaftlichen Gründen, wie der Wissenschaftler der „Rhein-Zeitung“ sagte. Er geht davon aus, dass Niedersachsen gleichwohl in der engeren Auswahl bleiben werde. Als eine Option nannte er Tonvorkommen, die sich von Nordhein-Westfalen über Niedersachsen bis Brandenburg erstrecken, sowie in Süddeutschland, vor allem in Baden-Württemberg. Hinzu kämen Salzgesteine in Norddeutschland und Kristallinvorkommen in Bayern und Sachsen.