Bewegung in der Ukraine-Krise im Zeichen des Normandie-Gedenkens
Brüssel/Paris (dpa) - Nach Monaten der Konfrontation in der Ukraine-Krise gewinnt der Dialog mit Russland wieder die Oberhand. Vom Gipfel der führenden westlichen Industrienationen (G7) in Brüssel kamen hoffnungsvolle Signale der Entspannung.
Der britische Premier David Cameron traf anschließend als erster führender westlicher Politiker in der Ukraine-Krise mit Russlands Präsident Wladimir Putin zusammen. Nach der Begegnung am Donnerstagabend in Paris wurde der Kremlchef von Frankreichs Präsident François Hollande erwartet.
Bei einem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Putin am Freitag im französischen Deauville soll nach russischen Angaben sogar ein Plan auf dem Tisch liegen, um die schwerste Sicherheitskrise in Europa nach Ende des Kalten Krieges zu entschärfen. Sollte die diplomatische Initiative scheitern, drohen die führenden westlichen Industriestaaten (G7) schärfere Wirtschaftssanktionen an.
Die Begegnungen mit Putin finden nach dem G7-Gipfel rund um die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie statt.
Selbst US-Präsident Barack Obama, der Putin während seiner Europa-Reise immer wieder hart kritisiert hatte, schloss - wie zuvor auch Putin - ein Gespräch nicht aus. „Sollten wir die Gelegenheit zum Reden haben, werde ich ihm dieselbe Botschaft wiederholen, die ich ihm während der Krise gesagt habe. Wir werden sehen, was Putin in den nächsten zwei, drei, vier Wochen macht“, sagte Obama. Bleibe Putin auf seinem Kurs, müsse er mit weiteren Strafmaßnahmen rechnen.
Mit den schärferen Sanktionen in der Hinterhand wird auch die Bundeskanzlerin am Freitagmorgen Putin in Deauville treffen. Der Ort liegt etwa 40 Kilometer abseits der eigentlichen Feierlichkeiten. Die Kanzlerin lobte die Linie der G7. „„Über alle die Punkte gab es eine große Einigkeit zwischen den G7“, sagte sie. „Und deshalb glauben wir, dass wir diesen Kurs auch in den nächsten Wochen weiter machen werden.“
Es gehe darum, Putin deutlich zu machen, dass die G7 Lösungen über Gespräche wollten, sagte sie. Sanktionen werde es nur geben, sollten Verhandlungen scheitern.
Auch über den Streit über russische Gaspreise wollen Merkel und Putin demnach reden. Die Ukraine steht bei Russland mit Milliarden in für nicht bezahltes Gas der Kreide.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier reist nach Angaben aus Moskau erstmals seit der Eskalation der Ukraine-Krise wieder nach Russland. Der SPD-Politiker berate am Dienstag (10. Juni) in St. Petersburg mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow sowie dem polnischen Außenminister Radosław Sikorski über die Lage in der Ukraine, hieß es.
Beim Treffen mit Putin in Paris habe Cameron „einige sehr klare und sehr deutliche Botschaften“ übermittelt, sagte eine Sprecherin der Downing Street in London. Das Gespräch habe eine Stunde gedauert. Laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax gab es zwischen den beiden Staatsmännern keinen Händedruck zu Beginn des Treffens.
In der Nacht zum Donnerstag hatte sich die G7-Gipfelrunde auf die Erklärung zur Ukraine verständigt. Damit wurde vor den einzelnen Treffen mit Putin auch der Verhandlungsspielraum abgesteckt. „Wir sind bereit, die gezielten Sanktionen zu verstärken und zusätzliche bedeutsame restriktive Maßnahmen zu verhängen, um den Preis, den Russland zu zahlen hat, in die Höhe zu treiben, wenn die Ereignisse dies erfordern“, heißt es in dem Dokument.
Die G7 hat vier Forderungen an Russland: Zusammenarbeit mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, Stopp des Zustroms von Separatisten und Waffen in die Ostukraine, Garantien für die Gasversorgung, vollständiger Abzug der Truppen von der ukrainischen Grenze.
Russland nannte die Erklärung zynisch. „Die sogenannten Sieben lassen sich über „gemäßigte Handlungen“ der ukrainischen Armee gegen das eigene Volk aus: Das ist an Zynismus kaum zu überbieten“, sagte Ministerpräsident Dmitri Medwedew und erinnerte an Luftangriffe auf prorussische Separatisten.
Nach dem G7-Treffen in Brüssel empfing Kanzlerin Merkel am Abend in Berlin den gewählten ukrainischen Präsidenten Poroschenko. Bei dem Treffen im Kanzleramt sagte Merkel, die Ukraine befinde sich nach wie vor in einer sehr schwierigen Lage. Deshalb wolle Deutschland „sehr hilfreich“ sein.
Russland hatte sich völkerrechtswidrig die zur Ukraine gehörende Schwarzmeerhalbinsel am 21. März einverleibt. Daraufhin hatten die Europäische Union und die USA Strafmaßnahmen gegen Russland verhängt. Auch den geplante G8-Gipfel im russischen Sotschi sagten die G7-Staats- und Regierungschefs ab, verlegten das Treffen nach Brüssel und schlossen Putin aus ihren Reihen aus.
Erstmals seit 16 Jahren kamen die G7 ohne Russland zu einem Gipfel zusammen. Das Treffen richtete die Europäische Union aus.
Zur G7-Runde gehören die Regierungschefs der USA, Kanadas, Japans, Frankreichs, Italiens, Großbritanniens und Deutschlands. Gastgeber waren EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und EU-Kommissionschef José Manuel Barroso.
Andere Themen fielen hinter der Ukraine-Krise zurück:
- Die Staats- und Regierungschef verurteilten die Brutalität des Regimes von Präsident Baschar al-Assad scharf. Die Wiederwahl Assads wird als „Scheinwahl“ bezeichnet.
- Die G7 arbeitet an Wachstumsstrategien, um für mehr Investitionen und Arbeitsplätze zu sorgen. Diee Pläne sollen beim Gipfel der größten Industrie- und Schwellenländer - Gruppe der 20/G20 - im November im australischen Brisbane vorgelegt werden.
Lob für die entwicklungspolitischen Schritte des Gipfels kam von der Organisation ONE: „Angesichts der besonderen Situation und thematischen Ausrichtung in diesem Jahr, ist es sehr erfreulich, dass entwicklungspolitische Themen überhaupt Eingang gefunden haben.“ Es sei besonders wichtig, dass der Gipfel in Deutschland nächstes Jahr ein voller Erfolg im Kampf gegen Armut auf der Welt werde.
Der nächste Gipfel ist im Juni 2015 auf Schloss Elmau in Oberbayern geplant. Ob als G7 oder G8, ist offen.