Bonn vermisst die hohe Politik nicht
Am Montag vor 20 Jahren verlor die Stadt gegen Berlin — und profitierte dennoch.
Bonn. Die Niedergangs-Prognosen trafen nicht ein: Bonn hat den Abzug der hohen Politik nach Berlin bestens bewältigt. Die mit viel Geld (rund 1,5 Milliarden Euro) als Ausgleich gepäppelte „Bundesstadt“ behauptet sich als gestärkter Wirtschaftsstandort.
Die Deutsche Post und die Deutsche Telekom lenken von hier aus ihre Milliardengeschäfte. Regierung und Parlament sowie die Diplomaten werden 20 Jahre nach dem knappen Umzugsbeschluss im Bundestag (337 zu 320 Stimmen) nicht vermisst.
Insgesamt arbeiten heute weit mehr Menschen im Regierungsviertel als zu Zeiten der „Bonner Republik“. Auch die Zahl der Einwohner und der Arbeitsplätze insgesamt hat sich erhöht.
Doch die Bonner Ambitionen als respektable UN-Stadt mit Sitz des Weltklimasekretariats und 17 weiterer UN-Behörden haben inzwischen schwere Dämpfer erhalten.
Die Stadtoberen, die dubiosen Scheininvestoren auf den Leim gingen, sorgten für schweren Imageschaden. Der Bau des Konferenzzentrums WCCB (World Conference Center Bonn) im alten Regierungsviertel wurde zum Finanzskandal und Fall für den Staatsanwalt.
In Bonn wächst zudem die Sorge vor einem möglichen Komplettumzug, der gestern erneut von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gefordert wurde: Die Aufsplitterung vieler Ministerien sei teuer und ineffizient. Wenn aus Bonn alle Regierungsteile abgezogen würden seien insgesamt 30 000 Arbeitsplätze in Gefahr, warnte der Landrat des Rhein-Sieg-Kreises, Frithjof Kühn.
Gemäß den Umzugsentscheidungen wird Deutschland immer noch aus Berlin und Bonn regiert. Doch die Minister und führenden Beamte erledigen ihr Geschäft längst an der Spree. In Bonn ist eher der nachgeordnete Verwaltungsapparat am Werk. Inzwischen arbeiten weniger als die Hälfte aller Regierungsmitarbeiter in Bonn.
Dieses Verhältnis verstößt gegen das Bonn-Berlin-Gesetz, wonach der größte Teil der Mitarbeiter am Rhein tätig sein soll. Die NRW-Landesregierung betonte gestern noch einmal, dass sie die Aushöhlung dieses Gesetzes nicht zulassen wolle.
Einen allgemeinen „Rutschbahn-Effekt“ gab es ohnehin. Fast alle großen Verbände und Lobby-Vertretungen zogen nach Berlin. Aber im Gegenzug kamen auf politisches Geheiß auch viele Behörden nach Bonn: Mehr als 20 Ämter mit knapp 7000 Stellen wurden an den Rhein verlagert, darunter das Bundeskartellamt, der Bundesrechnungshof oder die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).
Den Abgeordneten weint niemand eine Träne nach — vielleicht mit Ausnahme der Traditionsgastronomen, bei denen früher Parlamentarier und ihre Gesprächspartner einkehrten.