Bundesarbeitsgericht lockert kirchliches Streikverbot

Erfurt (dpa) - Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen dürfen künftig unter bestimmten Umständen für bessere Arbeitsbedingungen streiken. Das entschied das Bundesarbeitsgericht am Dienstag in Erfurt.

Ausgeschlossen bleiben Arbeitskämpfe der deutschlandweit rund 1,3 Millionen Mitarbeiter bei den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden aber, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Einigung unter sich finden. Allerdings müssen künftig bei diesem sogenannten Dritten Weg anders als bisher die Gewerkschaften eingebunden werden. Sowohl kirchliche Arbeitgeber wie Gewerkschaften feierten das Urteil als Sieg.

Bislang waren bei Diakonie und Caritas - den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden - Arbeitskämpfe verboten. Dumpinglöhne und Leiharbeit im Sozialsektor hatten aber vor allem die Diakonie in Verruf gebracht. Geklagt hatten nun kirchliche Arbeitgeber, die der Gewerkschaft Verdi und dem Marburger Bund den Aufruf zum Streik untersagen lassen wollten.

Mit seinem Urteil bestätigte das oberste Arbeitsgericht grundsätzlich den Sonderweg der Kirchen zur Aushandlung von Tarifen und Arbeitsbedingungen. Diesem Modell liegt das Selbstverständnis zugrunde, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Konsens statt auf Konfrontation setzen sollten. Das Recht auf Streik war daher ausgeschlossen, die Mitsprache von Gewerkschaften nicht üblich. Diesen Weg können die Kirchen nun weiter einschlagen, allerdings müssen sie die Gewerkschaften beteiligen. Nur, wenn verbindliche Mindestarbeitsbedingungen ausgehandelt werden, bleiben Streiks tabu.

Die Kirchen - zweitgrößter Arbeitgeber nach dem öffentlichen Dienst - hatten ihre Regelung mit dem verfassungsmäßig festgeschriebenen Recht auf Selbstbestimmung begründet. Dieses dürfe aber nicht zu einem rechtsfreien Raum führen, erläuterte Richterin und BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt. Zwar könne ein Arbeitskampf das diakonische Wirken und damit die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigen, ein Streikverbot beschränke zugleich aber auch die Rechte der Gewerkschaften erheblich. Zudem mindere es ihre Attraktivität und die Möglichkeiten zur Mitgliederwerbung. Es habe daher einen „schonenden Ausgleich“ geben müssen.

Sowohl Diakonie und Caritas wie die Gewerkschaft Verdi sahen sich als Sieger. Verdi wolle nun Tarifverträge aushandeln. Führten die Verhandlungen nicht zu einem Ergebnis, könne es Arbeitskampf geben, kündigte Gewerkschafts-Chef Frank Bsirske an. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer betonte: „Es ist gut, dass ohne Gewerkschaften nichts läuft, wenn es um verbindliche Arbeitsbedingungen in kirchlichen Einrichtungen geht.“ Die Diakonie sollte das Verdi-Angebot annehmen, einen „Tarifvertrag Soziales“ abzuschließen. Damit ließe sich dem Dumpingwettlauf in der Pflegebranche ein Riegel vorschieben.

Der Sekretär der Deutschen Bischofkonferenz, Hans Langendörfer, erklärte, die katholische Caritas werde an ihrem Weg festhalten, weil er gerechte Ergebnisse garantiere. Auch Diakonie-Präsident Johannes Stockmeier sah die Kirchen bestätigt. Er forderte die Gewerkschaft auf, die „Grabenkämpfe“ zu beenden. Nach erster Einschätzung gebe es keinen Grund, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anzurufen. Dies war zuvor als wahrscheinlich eingeschätzt worden.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sieht nun Reformbedarf bei den Kirchen. Outsourcing zum Senken von Löhnen und Leiharbeit könnten ihrem Anspruch nicht genügen. „Die Kirchen müssen sich für eine Beteiligung von Gewerkschaften in den arbeitsrechtlichen Kommissionen öffnen“, forderte der SPD-Politiker. Auch der Vizepräsident der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Alexander Krauß, forderte Reformen. „Gerade die Diakonie muss stärker gegen schwarze Schafe in den eigenen Reihen vorgehen“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Kirchliche Unternehmen, die sich nicht an die Regeln hielten, sollten aus den Dachverbänden ausgeschlossen werden.

Auch die Opposition begrüßte das Urteil. Die Fraktionsvorsitzende Renate Künast erklärte, nur mit Streikrecht seien Verhandlungen um Löhne und Arbeitsbedingungen auf Augenhöhe möglich. „Streiken ist ein Grundrecht“, twitterte auch Linke-Chef Bernd Riexinger. Jetzt müsse auch das Streikverbot für Beamte fallen.