Wendige Jungstars und scheiternde Sensibelchen Das sind die politischen Gewinner und Verlierer des Jahres
Berlin · In jedem Jahr enden politische Karrieren abrupt – und neue beginnen hoffnungsvoll. 2019 machte da keine Ausnahme, barg aber einige Überraschungen, mit denen zuvor wohl niemand gerechnet hätte. Hier die Gewinner und Verlierer des Jahres.
Gewinner:
Markus Söder: Der grün-gewandelte bayerische Ministerpräsident krempelt die CSU knallhart um. Inhaltlich wie personell. Keine harschen Worte mehr gegen Flüchtlinge, kein AfD-Sprech, stattdessen Klima- und Insektenschutz. Zusammen mit AKK hat er das zerrüttete Verhältnis der Unionsschwestern gekittet, das aus der Dauerfehde zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer entstanden war. Inzwischen denkt manch einer sogar daran, Söder zum Kanzlerkandidaten der Unionsparteien zu machen. Doch auch der CSU-Chef weiß, dass es ein Bayer jenseits des Weißwurst-Äquators extrem schwer hat. Da muss schon vieles zusammenpassen.
Jens Spahn: Der Bundesgesundheitsminister hat sich im Ranking der Minister weit nach vorn gearbeitet - er gehört zu den Aktivposten in Angela Merkels Kabinettsriege. Zumindest, was die Zahl der in den Bundestag eingebrachten Gesetze angeht. Im internen CDU-Machtkampf hält Spahn bewusst die Füße still. In aller Ruhe schielt er auf die Kanzlerkandidatur bei der nächsten Bundestagswahl. Doch das wird schwierig werden, denn vielen in der Union ist Spahn mit nur 39 Jahren noch zu jung. „Vielleicht beim übernächsten Mal“, meinte kürzlich ein Altvorderer. Bis dahin könnte er ja irgendwann Fraktionschef werden.
Kevin Kühnert: Er hat die Anti-GroKo-Stimmung in der SPD perfekt genutzt – für sich. Erst trieb er die Parteiführung damit in die Defensive, dann sorgte er dafür, dass Borjans/Esken mit diesem Thema zu neuen Vorsitzenden wurden. Er selbst ließ sich zum Stellvertreter wählen. So einer hat Größeres vor. Wer einen Parteitag so rocken kann, wie der erst 30jährige Berliner es im Dezember tat, der kann ohnehin mehr. Wendig genug ist Kühnert auch. „Wer eine Koalition verlässt, gibt einen Teil der Kontrolle aus der Hand“, sagte er, als die ganze Personaloperation beendet war. Ausstieg aus der GroKo - War was?
Annalena Baerbock: Ihr grüner Co-Parteichef Robert Habeck mag Umfragekönig sein. Von der Parteibasis wird die 39jährige Wahl-Brandenburgerin noch stärker geliebt. Satte 97,1 Prozent der Stimmen fuhr Baerbock auf dem Bundesparteitag im November bei ihrer Wiederwahl zur Vorsitzenden ein. Fast sieben Prozentpunkte mehr als Habeck. Das grenzt schon an Personenkult. So etwas gab´s bei Grüns noch nie. Längst wird die Klimaexpertin für höhere Weihen gehandelt. Mancher träumt schon von Habeck als Kanzler und Baerbock als Fraktionschefin. Aber vielleicht kommt es nach der nächsten Bundestagswahl ja auch umgekehrt.
Amir Mohamed Ali: Bis vor sieben Wochen war die gebürtige Hamburgerin allenfalls politischen Insidern bekannt. Seitdem ist die 39jährige Bundestagsabgeordnete Co-Chefin der Linksfraktion und damit Nachfolgerin von Sahra Wagenknecht, die den linken Laden polarisiert hat. Wahrlich ein steiler Aufstieg. Ob Mohamed Ali die in Grüppchen und Flügel gespaltene Linksfraktion einen kann? Immerhin hat sie sich von allen möglichen Ränkespielen für oder gegen Wagenknecht ferngehalten. Das ist schon ein Wert an sich. Auch will Mohamed Ali alle Linksabgeordneten demnächst zu Einzelgesprächen einladen. Damit Vertrauen gedeihen kann.
Verlierer:
Annegret Kramp-Karrenbauer: Das hat Seltenheitswert: Eine Parteivorsitzende stellt die Vertrauensfrage, um die Debatte um ihre Person zu beenden. So geschehen auf dem Parteitag der CDU im November. AKK hat damit einen Schuss abgefeuert, den man sich in ihrer Position nur einmal erlauben kann. Das zeigt, wie verkorkst das Jahr für die Saarländerin gewesen ist. Viele Pannen, dazu die Sticheleien der Kontrahenten - und dann doch der Griff nach dem Verteidigungsministerium trotz monatelanger, gegenteiliger Beteuerungen. Den Glauben daran, dass sie Kanzlerin kann, hat AKK vorerst verspielt. Es kann nur besser werden.
Andreas Scheuer: „Tricky-Andi“ - seine Tricksereien um Maut-Unterlagen und Transparenz haben den Verkehrsminister zusätzlich in die Bredouille gebracht. Der Steuerzahler ist sowieso der Dumme: Denn für den 500-Millionen-Euro-Schaden, den Scheuer mit seiner voreiligen Unterschrift unter die Maut-Verträge angerichtet hat, müssen die Bürger aufkommen. Der Minister mit der schlechten Bilanz badet aber auch das aus, was ihm andere in der CSU eingebrockt haben. Noch benötigt ihn Parteichef Markus Söder als Berliner Boxbirne. Ob Scheuer freilich auch das Jahr 2020 politisch überstehen wird, ist mehr als fraglich.
Andrea Nahles: Anfang Juni schmiss die SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende von einem Tag auf den anderen alles hin, sogar ihr Bundestagsmandat. Abruptes Ende einer großen politischen Karriere mit nur 48 Jahren. Gut, es hatte massive Wahlklatschen gegeben. Und sie hatte sich ein paar Mal öffentlich daneben benommen („Auf die Fresse“). Aber eigentlich hatte sie die SPD wieder gut positioniert, etwa mit ihrem Sozialstaatspapier. Dass Nahles, die ihr Leben lang selbst mit Parteifreunden nicht gerade zimperlich war, wegen ein bisschen Mäkelei und Kritik so sehr die Nerven verlor, war die Enttäuschung des Jahres.
Linda Teuteberg: Die 38jährige Generalsekretärin der FDP ist erst seit dem Frühjahr im Amt. Sie ist ostdeutsch, pragmatisch und erfrischend unideologisch. Ihr klarer Kampfauftrag: Erfolge bei den Landtagswahlen im Osten holen. Das freilich hat nicht geklappt. In Brandenburg und Sachsen wurde der Einzug in die Parlamente verfehlt, in Thüringen nur hauchdünn geschafft. Jetzt heißt es, sie sei zu nett für den Job. Aber vielleicht ist sie auch einfach nur zu nett zu ihrem Chef Christian Lindner, der Teuteberg mit seiner Kritik an den Klimaprotesten („Sache für Profis“) den Wahlkampf ziemlich vermasselte.
Stephan Brandner: Schon im Thüringer Landtag hatte der AfD-Mann und Höcke-Anhänger gepöbelt, was das Zeug hält. Unter anderem nannte der aus Herten/Ruhrgebiet stammende Rechtsanwalt die Grünen „Koksnasen“, Angela Merkel eine „Fuchtel“ und Heiko Maas das „Ergebnis politischer Inzucht“. Man ahnte, dass das im Bundestag so weiter gehen würde. Als er nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle rechtsradikale Tweets verbreitete, setzte die Mehrheit den 53jährigen als Vorsitzenden des Rechtsausschusses wieder ab. Brander macht jetzt auf Opfer: „Einmal die Meinung gesagt, schwups ist der Job weg“. Heul doch.