Interview SPD-Fraktionschef Mützenich über neue Machtstrukturen in seiner Partei
Berlin · Rolf Mützenich, der leise Mann aus der zweiten Reihe der SPD, ist im Sommer nach dem Rücktritt von Andrea Nahles unerwartet Fraktionsvorsitzender geworden. Und in diesem Amt schon höchst anerkannt. Unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff sprach mit dem 60jährigen Kölner, dessen Leidenschaft die Abrüstungspolitik ist, über die Lage seiner Partei.
F.: Jene SPD-Mitglieder, die Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken gewählt haben, wollten raus aus der Großen Koalition. Das geschieht nun nicht. Muss das nicht zu neuer Unzufriedenheit an der Parteibasis führen?
A.: Ich spüre eine solche Unzufriedenheit nicht. Und ich glaube auch nicht, dass jeder, der für die beiden gestimmt hat, tatsächlich von einem schnellen Ende der Koalition ausgegangen ist. Auf den Regionalkonferenzen war das jedenfalls nicht das große Thema. Der Parteitag hat mit großer Mehrheit gegen einen Ausstieg aus der Koalition gestimmt.
F.: Es dürfe keine Festlegung der Parteimeinung aus der Koalitionsdisziplin heraus geben, hat Norbert Walter-Borjans gesagt. Wer ist in der SPD Koch, wer ist Kellner?
A.: Es gibt bei uns keine Richtlinienkompetenz wie in einem Kabinett, sondern wir sind drei Ebenen, Partei, Fraktion, Regierungsmitglieder, die sich gut abstimmen. Da geht es nicht um Koch und Kellner, da geht es um die richtigen Lösungen.
F.: Wie und wo kann sich die SPD bis zur regulären Bundestagswahl 2021 besser profilieren?
A.: Über den Koalitionsvertrag hinaus versuchen wir immer wieder, zusätzliche Elemente einzubringen und mit unserem Koalitionspartner zu verhandeln. Dabei waren wir durchaus erfolgreich, etwa bei der Grundrente oder für bezahlbare Mieten. Außerdem verschafft uns das noch von Andrea Nahles auf den Weg gebrachte Sozialstaatskonzept neues Profil. Damit setzen wir uns wirklich von den anderen Parteien ab, etwa mit der Kindergrundsicherung. Neben der Arbeit in der Koalition macht die SPD immer wieder deutlich, dass wir weitergehende Vorstellungen haben als im Koalitionsvertrag stehen.
F.: Sie wollten die SPD außenpolitisch schärfer positionieren, aber schon Ihr erster Vorstoß gegen die Verlängerung des Anti-IS-Einsatz ist gescheitert. Was haben Sie falsch gemacht?
A.: Ich hatte mich auf die Zusage von Ursula von der Leyen gegenüber dem Bundestag verlassen, einen Ersatz für den deutschen Tornado-Einsatz zu finden. Das hat sie versäumt. Annegret Kramp-Karrenbauer hat mich dann gebeten, ihr noch bis März Zeit zu geben, um eine Ablösung zu organisieren. Ich will nicht mit dem Kopf durch die Wand. Aber Versprechen müssen am Ende auch eingehalten werden. Es muss auch möglich sein, einen Auslandseinsatz mal zu beenden.
F.: In der Ukraine gibt es jetzt kleine Fortschritte. Ist für Sie denkbar, dass die Bundeswehr sich im Rahmen einer internationalen Mission an der Sicherung der Grenze zu Russland beteiligt, wenn es so weit kommen sollte?
A.: Wir sind bereits im Rahmen der OSZE-Überwachungsmission dort engagiert. Wir spielen bei der diplomatischen Vermittlung und bei der Überwachung von Vereinbarungen eine wichtige Rolle. Wir werden sehen, wie sich der Friedensprozess weiter entwickelt. Ich hoffe sehr auf eine Lösung am Verhandlungstisch.
F.: AKK hat laut über eine Ausweitung des Einsatzes in Mali nachgedacht und sogar einen Marineeinsatz im pazifischen Ozean ins Gespräch gebracht. Gehen Sie da mit?
A.: Es handelt sich bisher um die persönliche Meinung der Verteidigungsministerin. Ich halte eine solche Herangehensweise für einen Bruch mit unseren außen- und sicherheitspolitischen Grundsätzen und den Verabredungen in der Koalition. Denn wir wollen vor allem diplomatische Mittel zur Friedenssicherung nutzen. Der Versuch, die Volksrepublik China mit deutscher Beteiligung militärisch einzuhegen, widerspräche darüber hinaus auch dem Grundgesetz.
F.: Im Weißbuch der Bundeswehr ist von mehr internationaler Verantwortung die Rede.
A.: Verantwortung nehmen wir hauptsächlich mit zivilen und diplomatischen Mitteln wahr. Mich stört, dass Frau Kramp-Karrenbauer sie nur militärisch definiert. Das ist der falsche Weg.
F.: Braucht die SPD noch einen Kanzlerkandidaten?
A.: Ja. Eine große Volkspartei mit über 400.000 Mitgliedern sollte ihr Selbstbewusstsein auch an dieser Stelle sichtbar machen. Das ist auch eine Frage der Selbstachtung.
F.: Gilt nach der Urwahl noch der alte Grundsatz, dass die Vorsitzenden allein über die Kanzlerkandidatur entscheiden?
A.: Die Vorsitzenden haben das erste Recht, bei diesem Thema gehört zu werden. Aber auch in der Vergangenheit war das nie die einsame Entscheidung einer einzelnen Person.
F.: Hat auch die Fraktion ein Wörtchen mitzureden?
A.: Die neuen Parteivorsitzenden schätzen den Rat der Fraktion, und ich habe ihnen bei ihrem ersten Besuch in der Fraktion diese Funktion als Ratgeber auch sehr ans Herz gelegt.