De Maizière: 800 000 Asylbewerber bis Jahresende erwartet

Berlin (dpa) - Die Bundesregierung rechnet im laufenden Jahr mit der Rekordzahl von 800 000 Flüchtlingen in Deutschland. Das teilte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Mittwoch in Berlin mit.

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Vertreter von Bund und Ländern wollen angesichts dieser dramatischen Zahlen am 24. September auf einem Flüchtlings-Gipfel ihr weiteres Vorgehen vereinbaren, wie de Maizière ankündigte. Die Länder fordern eine schnelle Entscheidung über finanzielle Hilfen des Bundes.

So viele Asylbewerber kamen noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik in einem Jahr ins Land. Der Bund korrigierte damit seine Prognose wie erwartet erheblich nach oben. Zuletzt war das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von 450 000 Anträgen ausgegangen. Den bisherigen Höchststand hatten die Behörden 1992 mit etwa 440 000 Asylanträgen gezählt.

De Maizière sagte, allein im Juli seien 83 000 Menschen ins Land gekommen, um einen Asylantrag zu stellen. Im August seien es bis zur Mitte des Monats schon etwa 50 000 gewesen. Üblicherweise kämen in der zweiten Jahreshälfte mehr Menschen als in der ersten. Obwohl die Dauer der Asylverfahren von 7,1 auf 5,4 Monate gesenkt werden konnte, nehme die Zahl der offenen Verfahren weiter zu, zur Zeit liege sie bei 250 000.

Daher müsse das Personal zur Bearbeitung der Anträge dringend aufgestockt werden. In den Erstaufnahmeeinrichtungen würden dringend zusätzliche Plätze benötigt. Die Zeltstädte müssten winterfest gemacht werden. Dazu seien möglicherweise auch gesetzliche Regelungen nötig, die von den Standards abwichen. Es gebe nicht die eine Maßnahme, die das Problem löse. Es gebe mehrere Stellschrauben.

An die europäischen Partner appellierte de Maizière, die Vereinbarungen einzuhalten. Deutschland allein könne nicht 40 Prozent der Flüchtlinge aufnehmen, die nach Europa kommen. Sollten die Partner ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, stehe die Freizügigkeit in Europa auf dem Spiel.

40 Prozent der Asylanträge werde derzeit in Deutschland stattgegeben. Diese Menschen müssten mittel- und langfristig integriert und in Lohn und Brot gebracht werden. Zudem müsse der Wohnungsbau intensiviert werden.

Deutschland stehe vor einer großen Herausforderung, sagte der Innenminister. Aber: „Überfordert ist Deutschland mit dieser Entwicklung nicht.“ Bund, Länder und Gemeinden müssten die gegenseitigen Schuldzuweisungen beenden und mit einem Schulterschluss das Problem angehen.

Die Menschen werden im sogenannten EASY-System („Erstverteilung von Asylbegehrenden“) erfasst, wenn sie in Deutschland ankommen. Wegen des großen Andrangs können sie oft erst mit einiger Zeitverzögerung einen Asylantrag stellen und landen daher erst später in der offiziellen Asylstatistik. In den ersten sieben Monaten des Jahres wurden bereits fast 310 000 Menschen im EASY-System registriert.

Bislang basierten die Asyl-Vorhersagen auf der Zahl der Anträge. Die neue Prognose fußt dagegen auf den Zugängen nach Deutschland, die im EASY-System erfasst sind.

Die Migration über die Ägäis und den Balkan habe erheblich zugenommen, sagte de Maizière. Auch sei eine positive Entwicklung in den internationalen Konfliktregionen nicht absehbar. Daraus ergebe sich der Sprung bei der Vorhersage.

Die Länder verlangen angesichts der Zahlen mehr Hilfe. „Der Bund muss jetzt sehr schnell sagen, wie er sich dauerhaft und strukturell an den Kosten für die Betreuung der Flüchtlinge beteiligen wird“, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) „Spiegel Online“. Berlins Sozialsenator Mario Czaja (CDU) forderte den Bund auf, selbst Erstaufnahmeeinrichtungen zu betreiben.

Die Kommunen wiederum appellierten an die Länder, sie müssten dringend weitere Erstaufnahmeeinrichtungen schaffen. Die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Eva Lohse, sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, nötig seien mindestens 150 000 Plätze - eine Verdreifachung gegenüber den Platzzahlen im Frühjahr. Auch der Deutsche Landkreistag rief Bund und Länder zum Handeln auf, warnte aber zugleich vor Aktionismus und schrillen Tönen angesichts der neuen Zahlen.