Politik Gerichte stöhnen über immer mehr Asyl-Klagen
Berlin. In den vergangenen zwei Jahren kamen weit über eine Million Flüchtlinge und Asylbewerber nach Deutschland. Nun hat dieser Zuzug auch die Gerichte erreicht. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums waren mit Stand Ende Juni mehr als 320.000 Asyl-Klagen bei den Verwaltungsgerichten anhängig.
Zugleich wurde am Donnerstag bekannt, dass die Behörden keine Kenntnis über den Verbleib von möglicherweise 30.000 abgelehnten Asylbewerbern haben.
In den letzten Monaten ist der Aktenberg mit unerledigten Asylanträgen im zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) deutlich kleiner geworden. Allein zwischen Januar und August dieses Jahres wurde dort über 480.000 Asylanträge entschieden. Rund 190.000 davon wurden abgelehnt. Das wiederum führt jedoch automatisch zu mehr Klagen: Lag ihre Zahl 2016 noch bei knapp 69.000, so waren zur Mitte des laufenden Jahres bereits 320.000 Verfahren anhängig. Dies entspricht fast einer Verfünffachung der Fälle. „Jeder Betroffene hat in unserem Rechtsstaat die Möglichkeit, eine ablehnende Entscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen. Und dabei muss es auch bleiben“, sagte der frühere Innenpolitiker der Unionsfraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach, unserer Redaktion. „Die Entwicklung bei den Klagen war also vorauszusehen.“
Nach Angaben der Bundesregierung landen etwa zwei von drei Ablehnungsbescheiden des Bamf vor Gericht. Häufig handelt es sich um Klagen von Personen, denen nur ein subsidärer Schutz, also ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zugestanden wurde und kein Asyl- oder Flüchtlingsstatus. Dies rüttelt jedoch immer stärker an den juristischen Kapazitäten. „Deshalb hätte man schon vor geraumer Zeit die Zahl der Richter an den Verwaltungsgerichten deutlich aufstocken müssen“, meinte Bosbach. Auch der Deutsche Richterbund schlug Alarm: „Die Lage an den Verwaltungsgerichten ist mehr als prekär“, sagte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn unserer Redaktion. „Wenn die Bundesländer personell nicht deutlich nachlegen, dürfte es Jahre dauern, bis die Verwaltungsgerichte den inzwischen aufgelaufenen Verfahrensberg wieder abgetragen haben“. Bund und Länder seien gemeinsam gefordert, „deutlich mehr in einen durchsetzungsfähigen Rechtsstaat zu investieren, dem gegenwärtig bundesweit mindestens 2000 Richter und Staatsanwälte fehlen“, so Rebehn.
Und die „verschwundenen“ Flüchtlinge? „Das Problem ist, wenn jemand abgelehnt wird und eigentlich das Land verlassen müsste, hält er sich hier unerlaubt auf und taucht dann womöglich unter“, erläuterte Jörg Radek, Vize-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf Nachfrage. Im Bundesinnenministerium bezweifelte man zwar die Angaben der „Bild“-Zeitung, die am Donnerstag mit Verweis auf das Ausländerzentralregister (AZR) gemeldet hatte, dass rund 30.000 dort registrierte, abgelehnte Asylbewerber untergetaucht seien. Man könne jedoch nicht ausschließen, dass ein Ausreisepflichtiger das Land verlasse oder untertauche, aber weiter im Zentralregister gelistet sei, so das Innenressort. Für den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist das ein unhaltbarer Zustand: „Wir müssen hier dringend Ordnung in die ganzen Abläufe bringen“, meinte er in einem Interview. Dabei seien die Bundesbehörden, aber auch viele Kommunalbehörden gefragt, wo es zum Teil offensichtlich nicht optimal laufe mit der Aktualisierung entsprechender Daten, etwa wenn sich jemand abmelde, so Herrmann.
Derweil warnte die Innenexpertin der Linkfraktion, Ulla Jelpke, vor Panikmache. Dass Menschen aus Angst vor Abschiebung untertauchten, oder ohne behördliche Registrierung ausreisten, sei schon lange bekannt. Eine allgemeine Bedrohung sehe sie darin nicht. Diese Menschen verhielten sich in aller Regel unauffällig, „denn jeder Behördenkontakt birgt die Gefahr der Inhaftierung und Abschiebung“, so Jelpke.