Der Parteitag der Grünen und die Suche nach sich selbst
Der Parteitag der Grünen wirft viele Fragen auf. Die neue Führung hat schwere Aufgaben vor sich.
Berlin. Der Beifall dauert eine gefühlte Ewigkeit. Und immer wieder kämpft Claudia Roth mit den Tränen. Neun Jahre lang war sie Vorsitzende der Grünen. Davor auch schon mal für kurze Zeit. Nun ist Schluss. Roth verlässt die grüne Kommandobrücke wegen des Wahldebakels der Partei. Und mit ihr nahezu die gesamte Führungsriege. Doch in diesen emotionsgeladenen Momenten will das kaum jemand in der Berliner Parteitagshalle wahrhaben.
Eine Rednerin feiert Roth als „eigene Marke“, als „Kult“. Sogar Joschka Fischer tritt als Laudator auf. Nicht live, aber in einem ein Filmchen: „Ihre Umarmungen werden der Partei fehlen“, knarzt der einstige Übervater über die Übermutter der Partei. Ohne Claudia Roth würden sich die Grünen neu erfinden müssen, assistiert Jürgen Trittin. Dazu einfühlsame Musik und stehende Ovationen.
Eine Partei berauscht sich an ihrer Vergangenheit. Wie groß die Schuhe in der Tat sind, die Roth hinterlässt, zeigt sich bei der Wahl ihrer Nachfolgerin. Simone Peter (47), die Ex-Umweltministerin im Saarland und einzige Kandidatin, hält eine nüchterner Bewerbungsrede, weit weg von der berühmt-berüchtigten Gefühlsklaviatur ihrer Vorgängerin. Manche sprechen auch von einer schwachen Rede, obwohl es die Parteilinke besser könne.
Ihr Ergebnis ist alles andere als euphorisch. Knapp 76 Prozent der 800 Delegierten stimmen für Peter. Das Votum für den Co-Vorsitzenden Cem Özdemir fällt mit 71 Prozent noch magerer aus. Doch das war auch so erwartet worden. Der 47-jährige Schwabe mit türkischen Wurzeln ist der einzige der engen Führungsmannschaft, der bleiben wollte, was er war. Selbst im Realo-Flügel fand das nur mäßigen Anklang. Ein fähiger Gegenkandidat ließ sich aber auch nicht auftreiben. So müssen die Grünen nun mit einem eher schwachen Führungsduo leben.
„Lasst uns unser Profil schärfen und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen“, appelliert Peter. Özdemir fordert gar, das Flügeldenken zu überwinden. Wie das aber praktisch funktionieren soll, sagen beide nicht. Dabei hat es an Klartext über das schlechte Abschneiden bei der Wahl nicht gemangelt. Die unterschiedlichen Fehler-Analysen vermag keiner zusammenzubinden. Übergreifend steht die Frage im Raum, ob man nicht doch eine „historische Chance“ verpasst habe, eine Regierung mit der Union in den Wind zu schlagen.
Immerhin wollen sich die Grünen nun neuen Bündnisoptionen nähern. Das könne „Rot-Rot-Grün“ sein, oder „Schwarz-Grün“, heißt es im Parteitagsbeschluss. Doch: „Wie öffnet man sich eigentlich in Richtung Angela Merkel und gleichzeitig in Richtung Linkspartei?“, sinniert die scheidende Geschäftsführerin Steffi Lemke, der ebenfalls eine bewegende Abschiedszeremonie zuteil wird.
Gänzlich kaputt wollen sich die Grünen ihre bisherige Vorstellungswelt dann aber doch nicht machen lassen. Ein Antrag des Realo-Flügels, der die immensen Mehrbelastungen aus dem umstrittenen Steuerkonzept der Partei als Ursache für den Liebesentzug der Wähler brandmarkt, wird mit großer Mehrheit abgeschmettert.