Auswirkungen des Coronavirus Der Politik-Betrieb stottert bereits gewaltig
Berlin · Wegen der Corona-Krise könnte der Bundestag kurzfristig durch das 32-köpfige Notparlament ersetzt werden.
. „Wir fahren auf Sicht.“ So lautet derzeit noch die Maßgabe der Fraktionsspitzen im Bundestag. Der erste Corona-Fall unter den Parlamentariern ist da, einige Abgeordnete müssen sich bereits in Quarantäne begeben. Justizminister Christine Lambrecht mischte sich am Donnerstag nur per SMS in die Debatte über die Bekämpfung der Hass-Kriminalität im Netz ein.
Eigentlich wollte die SPD-Frau den Gesetzentwurf der großen Koalition im Bundestag vorstellen. Doch Lambrecht habe schon seit längerem eine hartnäckige Erkältung, verlautete es. Deswegen sei sie zu Hause geblieben – und kommentierte von dort die Reden im Parlament mit Kurzmitteilungen. Dem Vernehmen nach will sich nun auch die Ministerin vorbeugend einem Test unterziehen. Sicher ist sicher. Zumal mehrere Abgeordnete und Mitarbeiter der SPD-Bundestagsfraktion unter häuslicher Quarantäne gestellt wurden, nachdem sie bei einer Sitzung der Fraktionsarbeitsgruppe Recht Anfang März Kontakt zu einer mit dem Coronavirus infizierten Person gehabt hatten.
Der Betrieb im Bundestag stottert jedenfalls bereits an vielen Stellen gewaltig. Wegen des Coronavirus hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) mittlerweile die Kuppel und die Dachterrasse des Reichstagsgebäudes schließen lassen. Dabei geht es vor allem um die Fahrstuhlfahrt, bei der die Bürger dicht gedrängt stehen. Außerdem werden bis Ende April Besuchergruppen auch nicht mehr in den Reichstag gelassen. In normalen Zeiten sind bis zu 6000 Menschen täglich im Parlament unterwegs.
Die Abgeordneten verzichteten in dieser Woche auf namentliche Abstimmungen, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Bei solchen Voten werden Stimmkarten in eine Box geworfen, was regelmäßig zu großen Menschentrauben führt. Die Desinfektion der Hände vor den Kantinen des Bundestages ist mittlerweile Pflicht. Viele Beratungen wurden zudem schon gekippt. Erwogen wird nun auch, die nächste Sitzungswoche Ende März abzusagen oder zumindest zu verkürzen. Weitere Sitzungswochen könnten in den freien Sommer geschoben werden. Für solche Entscheidungen haben die Fraktionen extra eine Taskforce eingerichtet.
FDP-Abgeordneter infiziert, Kontaktpersonen isoliert
Besonders schwer getroffen hat es die FDP, aus deren Reihen der erste infizierte Abgeordnete stammt. Die Liberalen beschlossen am Donnerstag weitere Vorsichtsmaßnahmen. Kontaktpersonen „im niedrigen zweistelligen Bereich“ wurden vorsorglich unter Quarantäne gestellt und Tests veranlasst. „Zudem arbeitet der Großteil der Mitarbeiter der FDP-Fraktion seit heute mobil.“ Sollten bei allen Fraktionen mehr Abgeordnete ausfallen, so sind „Pairing-Lösungen“ im Gespräch. Das heißt: Fehlt jemand, stimmen genauso viele Abgeordnete der anderen Fraktionen nicht ab, damit die Mehrheitsverhältnisse gewahrt bleiben.
Auch die große Koalition befindet sich im Krisenmodus. Zur Bekämpfung der Corona-Folgen wurden zügig zahlreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht, darunter Milliardenhilfen für Unternehmen, für Hoteliers und Gastronomen. Doch was, wenn der Bundestag plötzlich nicht mehr arbeitsfähig ist, wie sollen die notwendigen Gesetze dann verabschiedet werden? Aus der Union hieß es dazu am Donnerstag: „Der Bundestag muss handlungsfähig bleiben.“
Im Gespräch ist daher, bei Funktionsunfähigkeit das „Notparlament“ zu aktivieren. Laut Grundgesetz wäre das der „Gemeinsame Ausschuss“. Er besteht aus 32 entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen zu Beginn der Legislaturperiode gewählten Abgeordneten sowie 16 Vertretern des Bundesrates, einer für jedes Bundesland. Sollte von den Mitgliedern wiederum einer krankheitsbedingt ausfallen, kann nachbesetzt werden. Der Haken: Laut Grundgesetz übernimmt der Ausschuss das Sagen eigentlich nur im Verteidigungsfall.