Die Grünen wollen breite Wählerschichten erschließen - In Bayern stehen die Chancen gut

Berlin. Robert Habeck scheint allgegenwärtig zu sein. Nicht nur in Detmold, Mainz und Leipzig. Oder wie am Freitag auf der weltberühmten Wartburg in Eisenach, wo die gut 14-tägige Sommerreise des Grünen-Chefs mit einer Diskussionsveranstaltung über „Religion und Emanzipation“ zu Ende ging.

Grüne Persönlichkeit: Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/DieGrünen, scheint derzeit allgegenwärtig zu sein. Foto: Paul Zinken/dpa

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In den Medien sorgt der Hoffnungsträger der Partei ebenfalls für viel Aufmerksamkeit. So bekommt auch der Rest des Landes mit, dass sich Habeck um die Walbrandgefahr sorgt und um das Schicksal der von massiven Ernteausfällen betroffenen Landwirte. Dass ihn die vielerorts grassierende Wohnungsnot empört, und dass Habeck die Flüchtlingspolitik der CSU ein Gräuel ist.

Man kann das abschätzig „Themen-Hopping“ nennen. Doch dahinter steckt offenbar Methode: Die Grünen wollen nicht mehr nur als Öko-Partei wahrgenommen werden. Dazu passt auch das Motto der grünen Sommertour („Des Glückes Unterpfand“), die in der kommenden Woche von der Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock in Frankfurt/Oder fortgesetzt wird. Dass man die Reise mit einem Halbsatz aus der Nationalhymne überschreibe, „mag auf den ersten Blick irritieren“, heißt es dazu auf der Homepage der Grünen. Aber gerade jetzt gehe es um die Frage, wie man in diesem Land zusammenleben wolle.

Schon vor einigen Monaten hatte Habeck von der Notwendigkeit einer größeren gesellschaftlichen Verantwortung seitens der Grünen gesprochen. Zugleich machte er damals klar, dass es nicht mehr reiche, „nur im eigenen Milieu zustimmungsfähig zu sein“.

In Bayern könnte dieses Kalkül aufgehen. Am 14. Oktober wird dort ein neuer Landtag gewählt. Und die Grünen kommen in Umfragen auf bis zu 16 Prozent — fast doppelt so viel wie beim letzten Urnengang vor fünf Jahren. Ekin Deligöz, Landesgruppensprecherin der bayrischen Grünen-Abgeordneten im Bundestag, ist im Freistaat gerade auf Werbetour für ihre Partei. „Ich bin noch nie so häufig in traditionelle CSU-Kreise wie Handwerkskammern, Katholische Arbeiterbewegung, oder Landjugend eingeladen worden wie in diesem Wahlkampf“, hat Deligöz festgestellt. Auch gebe es hier eine kirchlich geprägte Wählerschaft, die sich bei der Flüchtlingshilfe engagiere und „von den schrillen Tönen der CSU tief enttäuscht“ sei. „Ob die Grün wählen, ist allerdings noch nicht ausgemacht“, sagte Deligöz unserer Redaktion.

Auch auf Bundesebene hat die Partei schon seit Monaten einen guten Lauf. Ihre Umfragewerte sind ebenfalls stabil zweistellig. Kündigt sich da eine neue „Volkspartei“ an? Über dieses Thema wurde schon in der Vergangenheit viel diskutiert. Doch die durchweg schwachen Ergebnisse der Grünen bei den letzten vier Bundestagswahlen ließen solche Träume regelmäßig platzen. Auch Deligöz meidet den Begriff. Ihr Tenor klingt aber ähnlich ambitioniert: „Es kommt darauf an, Potenziale auszuschöpfen. Das heißt, Menschen zu überzeugen, die den Grünen vielleicht emotional nahe stehen, aber uns noch nicht gewählt haben“. Diesen Anspruch, so Deligöz, müssten die Grünen haben.

Der Chef des Forsa-Instituts, Manfred Güllner, hat eine interessante Beobachtung gemacht: „Zum ersten Mal sehen wir, dass es auch Wählerwanderungen von der FDP zu den Grünen gibt. Das gab es bislang so nicht“. Güllner führt diese Entwicklung auf Enttäuschungen über die von den Liberalen verhinderte „Jamaika“-Koalition zurück. Umgekehrt hätten die Grünen in den Verhandlungen mit Union und Freidemokraten gepunktet, weil sie pragmatisch gewesen seien. Hinzu kämen grüne Persönlichkeiten wie Habeck oder Cem Özdemir, die genau für diese pragmatische Linie stünden. „Da bildet sich ein neuer liberaler Kern“, sagte Güllner unserer Redaktion. „Allerdings wäre es sehr verfrüht, deshalb von einer Volkspartei zu sprechen“.