Analyse Die Parteien und das Leid mit der Leitkultur
Auf ihren Bundesparteitagen werden die SPD in der kommenden Woche in Berlin und die CDU übernächste Woche in Karlsruhe vordergründig über die Flüchtlingspolitik streiten. In Wahrheit fürchtet sich die große Koalition vor einer von Angst und Ablehnung geprägten Wertediskussion, die das Land spaltet.
Berlin/Karlsruhe. Als die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner im September eine Flüchtlingsunterkunft in Idar-Oberstein besuchte, ließ sie publikumswirksam ein inszeniertes Zusammentreffen mit einem örtlichen Imam platzen. Der islamische Geistliche hatte — rechtzeitig und ohne jeden öffentlichen Affront — angekündigt, dass er der wichtigsten CDU-Wahlkämpferin des kommenden Jahres nicht die Hand geben werde. Aus religiösen Gründen.
Klöckner kommentierte, dann sei er wohl im falschen Land und fordert seitdem ein „Integrationspflichtgesetz“. Auf dem CDU-Bundesparteitag in der übernächsten Woche wird Klöckner für eine Integrationsverpflichtung eintreten, die Zuwanderer und Flüchtlinge unterschreiben sollen.
Der besonnenere Teil der CDU dürfte froh sein, dass Klöckner bisher offenkundig nicht mit dem württembergischen Landesrabbiner Netanel Wurmser zusammengetroffen ist. Der verweigerte am 9. November bei einer Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht in Schwäbisch Gmünd einer evangelischen Dekanin den Handschlag. Aus religiösen Gründen.
Der Rabbiner hatte dies zuvor angekündigt — was sich in der schwäbischen Kleinstadt herumsprach und für Verstimmung sowie kontroverse Diskussionen in den örtlichen Zeitungen sorgte. Der Vorstand der jüdischen Gemeinde fragte schließlich, ob es denn wohl wirklich zu viel verlangt sei, „gegebenenfalls still die Nase zu rümpfen und ansonsten großzügig über dieses sonderliche Verhalten eines orthodoxen Juden hinwegzusehen“.