Strafprozess Ein Vater kämpft vergeblich für späte Gerechtigkeit

Vor 35 Jahren wurde Frederike ermordet. Doch der mögliche Täter wird durch das Gesetz geschützt.

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Lüneburg. Der Fall liegt 35 Jahre zurück, doch lässt er den Vater des Mordopfers bis heute nicht zur Ruhe kommen: 1981 wird die 17-jährige Frederike vergewaltigt und ermordet aufgefunden. Ein Jahr später wird ein damals 21-jähriger Mann zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen legt er Revision ein, der Bundesgerichtshof hat Zweifel an der Täterschaft und verweist die Sache zurück ans Landgericht. In einem erneuten Prozess gibt es 1983 einen Freispruch wegen Mangels an Beweisen.

Im Jahr 2012 können aufgrund der mittlerweile stark fortentwickelten Untersuchungsmethoden DNA-Spuren an Bekleidungsstücken des Opfers gesichert werden. Ein Abgleich mit der DNA des damals Freigesprochenen führt zum erneuten Verdacht, dass er doch der Täter war. Der daraufhin von der Polizei mit diesen neuen Erkenntnissen konfrontierte Verdächtige legt aber auch jetzt kein Geständnis ab. Weil nach der gesetzlichen Lage (siehe Infokasten) nur ein Geständnis eine Wiederaufnahme des Verfahrens hätte rechtfertigen können, kommt es bis heute nicht zu einem neuen Strafprozess.

Das will Hans von Möhlmann, der Vater der ermordeten Frederike, nicht hinnehmen. Auf verschiedenen Wegen versucht er seither, doch noch eine Aufklärung des Falles zu erreichen. Vor dem Zivilgericht verklagt er den Mann, den er für den Mörder hält, auf Schmerzensgeld. Die Klage wird aber vom Landgericht Lüneburg wegen Verjährung abgewiesen. Das Oberlandesgericht Celle bestätigt diese Entscheidung.

Längst hat Möhlmann den Fall aber auch auf eine politische Ebene gehoben. Er startet auf der Plattform change.org eine Online-Petition unter der Überschrift: „Gerechtigkeit für meine ermordete Tochter Frederike: Der Mord muss gesühnt werden können.“ Mittlerweile haben mehr als 103 000 Menschen den Aufruf unterstützt. Möhlmann klagt in seiner Petition: „Der damalige Täter ist der mutmaßliche Mörder meiner Tochter, aber weiterhin auf freiem Fuß. Das ist unerträglich für mich.“

Auch den niedersächsischen Landtag hat die Sache bereits beschäftigt. Die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) sagt zwar: „Ich habe größtes Verständnis dafür, dass die konkrete Situation aufgrund der Rechtslage von den Hinterbliebenen als zutiefst ungerecht, ja als schimpflich empfunden wird.“ Das Recht müsse allerdings den Blick vom Einzelfall auf das ganze Rechtsgefüge richten. Ausführliche Prüfungen hätten zu dem schmerzlichen Ergebnis geführt, dass der Verfassungsgrundsatz des Verbots der Doppelbestrafung die Schaffung eines Wiederaufnahmegrundes zu Lasten des Angeklagten bei neuen Beweismitteln nicht zulasse.

Die Ministerin, die früher selbst Richterin war, erklärt das mit Blick auf historische Erfahrungen: „Als allgemeines Prozessrecht war der Grundsatz „ne bis in idem“ (nicht zweimal in derselben Sache) eine Jahrhunderte alte Entscheidung für die Rechtssicherheit. Ein Schutzrecht für Unschuldige, die nach einem durchgestandenen Prozess neu anfangen können, ohne mit erneuter Strafverfolgung rechnen zu müssen.“ Der Grundsatz nehme in Kauf, dass davon auch freigesprochene Schuldige profitieren. Die Aufnahme dieses Prinzips in die Verfassung beruhe auf den Erfahrungen mit der Rechtspraxis des nationalsozialistischen Unrechtsregimes. Dieses sei vor erneuter Verfolgung schon abgeurteilter Taten nicht zurückschreckt und habe die uferlose Durchbrechung der Rechtskraft zum Zwecke härterer Bestrafung ermöglicht.

In einer Antwort auf eine Große Anfrage der CDU im niedersächsischen Landtag betont das Justizministerium, dass in dem konkreten Fall nicht einmal eine Änderung der Rechtslage weiterhelfen würde: „Das in Artikel 20 des Grundgesetzes enthaltene Rückwirkungsverbot würde eine Anwendung neuer Wiederaufnahmegründe zu Lasten des Angeklagten auf einen bereits erfolgten rechtskräftigen Freispruch verbieten.“ Mit anderen Worten: Eine Gesetzesänderung würde erst für künftige Fälle, nicht aber im Fall Frederike, greifen.

Beim Bürger stößt all dies auf Unverständnis. So hat jüngst eine Umfrage von Infratest dimap ergeben, dass sich mehr als 90 Prozent der Befragten dafür aussprechen, dass die Strafprozessordnung geändert werden soll. Mit dem Ziel, einen Mordprozess wiederaufnehmen zu können, wenn etwa durch moderne Untersuchungsmethoden neue Beweise ans Licht kommen.

Doch Marco Mansdörfer, Professor für Strafprozessrecht an der Universität des Saarlandes, sieht das ganz anders. Auch wenn es für die Angehörigen in dem Fall hart klinge: „Es geht nicht anders.“ Im juristischen Online-Magazin „Legal Tribune“ begründet er das so: „Wer freigesprochen wurde, muss auf diesen Freispruch vertrauen dürfen. Wenn das Recht das nicht gewährleistet, dann würde der Beschuldigte zum Dauerbeschuldigten. Der Staat könnte jederzeit wieder und wieder zugreifen. Mit jedem Fortschritt der Kriminaltechnik nochmals.“