Ein Zurück zur Wehrpflicht ist nicht absehbar
Berlin (dpa) - Als die Wehrpflicht vor fünf Jahren ausgesetzt wurde, war die Welt noch einigermaßen in Ordnung. Die Bürgerkriege in Syrien und Libyen waren nicht ansatzweise absehbar. Die Terrororganisation Islamischer Staat existierte in ihrer heutigen Form noch nicht.
Die Nato verhandelte mit Russland über eine gemeinsame Raketenabwehr und Diplomaten träumten von einem neuen Verteidigungssystem von Vancouver bis Wladiwostok.
Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) setzte die Wehrpflicht quasi im Handstreich aus. In ein paar Wochen kippte er einen Grundpfeiler christdemokratischer und christsozialer Programmatik.
Er konnte sich nicht nur auf die entspannte Sicherheitslage berufen. Auch militärisch hatte die Wehrpflicht ihren Sinn verloren: Durch die Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate war eine wirksame Ausbildung kaum noch möglich. Der Dienst wurde so eher zur Belastung für die Bundeswehr, die Hunderte Berufssoldaten für Ausbildung und Betreuung der Wehrpflichtigen abstellen musste.
So einfach wie damals wäre die Aussetzung der Wehrpflicht heute nicht mehr. Vielleicht wäre sie politisch gar nicht mehr vermittelbar. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Sicherheitslage dramatisch verändert. Die Partnerschaft zwischen der Nato und Russland ist von einer neuen Ära der Abschreckung abgelöst worden. Im syrischen Bürgerkrieg sind mehr als 300 000 Menschen ums Leben gekommen und der IS verbreitet Angst und Schrecken auch in Europa.
Die Anschläge in Paris im November 2015 nahm der Reservistenverband der Bundeswehr zum Anlass, die Wiedereinführung eines Pflichtdienstes zu fordern. Heute sagt der stellvertretende Verbandschef Oswin Veith: „Jetzt gilt es, den Zivilschutz und die Widerstandskraft der Gesellschaft zu stärken, dem Nachwuchsmangel bei Technischem Hilfswerk, Blaulichtorganisationen und Reserve entgegenzuwirken. Wir brauchen schnell neue Wege.“ Nach den Vorstellungen des Verbandes sollen Männer und Frauen wahlweise zu einem mindestens einjährigen Militär- oder Sozialdienst verpflichtet werden.
Der Bundeswehrverband, die größte Interessenvertretung der Soldaten in Deutschland, sympathisiert ebenfalls mit einem solchen Modell. „Die Wehrpflicht und insbesondere auch die sozialen Ersatzdienste hatten eine große integrative Wirkung, die wir in unserer zunehmend individualisierten Gesellschaft mit ihren getrennten Lebenswelten dringend brauchen und heute vielfach schmerzlich vermissen“, sagt Verbandschef André Wüstner. Die Wiedereinführung eines Pflichtdienstes fordert er allerdings nicht.
Viele Befürchtungen, die Wehrpflicht-Befürworter vor fünf Jahren hatten, sind allerdings nicht eingetreten. Der neue Freiwilligendienst hat sich einigermaßen bewährt.
- In den vergangenen fünf Jahren hatte die Bundeswehr durchschnittlich 8100 und 10 500 Freiwillige. Damit lag sie durchgehend im Plan, der 5000 bis 12 500 Stellen vorsieht.
- Der Frauenanteil liegt mit 14 Prozent inzwischen über dem Durchschnitt der gesamten Truppe mit 11 Prozent.
- Auch mit dem Bildungsstand der Rekruten ist das Ministerium zufrieden. 2015 hatten 43 Prozent der Wehrdienstleistenden Abitur oder Fachabi, 36 Prozent die mittlere Reife und 20 Prozent einen Hauptschulabschluss. Nur ein Prozent war ohne Abschluss.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sieht trotz Krisen keinerlei Grund, über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht nachzudenken. Sie will zwar die Bundeswehr vergrößern und sucht händeringend nach qualifiziertem Personal für neue Aufgaben wie etwa den Schutz vor Angriffen aus dem Internet. Mit einem Pflichtdienst, der Leute zur Bundeswehr bringt, die gar nicht wollen, kommt man ihrer Meinung nach nicht weit.
„Im Wettbewerb um die besten Köpfe muss die Bundeswehr auf dem freien Markt als attraktiver Arbeitgeber überzeugen“, sagt von der Leyen. Und sie will auch die Zielgruppe bei der Rekrutierung von Nachwuchs erweitern. Das neuen Weißbuch zur Sicherheitspolitik soll eine Aufnahme von EU-Ausländern in die Bundeswehr enthalten.