EU will Grenzschutz massiv stärken

Brüssel/Straßburg (dpa) - In der Flüchtlingskrise will die EU-Kommission Mitgliedsstaaten notfalls Grenzschützer aus anderen Ländern aufzwingen.

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Beamte der EU-Agentur Frontex sollen die Außengrenzen Europas kontrollieren, „selbst wenn ein Staat unfähig oder unwillig ist, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“. Das schlug die EU-Kommission am Dienstag zum „Europäischen Grenz- und Küstenschutz“ vor. Frontex soll damit zu einer echten Küsten- und Grenzschutzbehörde ausgebaut und umbenannt werden.

Somit könnten Grenzschützer auch gegen den Willen von Staaten agieren. Im Fokus steht etwa Griechenland, dem vorgeworfen wird, seine Grenzen nicht zu kontrollieren und Flüchtlinge unregistriert in andere EU-Staaten weiterreisen zu lassen.

Da Grenzkontrollen in die nationale Kompetenz fallen, greift der Vorschlag massiv in die Souveränität der Staaten ein und ruft Kritik hervor, etwa von Polen und Ungarn. Er kann nur dann Gesetz werden, wenn die EU-Staaten und das Europaparlament zustimmen. EU-Diplomaten erwarten, dass die Idee dort noch verwässert wird.

Der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos sagte, die Flüchtlingskrise mache „nicht an den Grenzen Halt“ und erfordere ein europäisches Konzept: „Wir schaffen heute mehr Europa.“ Nur so könne Europa für mehr Sicherheit sorgen und den Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen bewahren.

Das Personal der neuen Behörde soll mehr als verdoppelt werden auf 1000 Grenzbeamte, auch das Budget soll mindestens zweimal so hoch wie das von Frontex sein. Zusätzlich sollen die EU-Staaten der Behörde mindestens 1500 Grenzschützer bereitstellen, die Frontex „in Schnelleingreiftruppen innerhalb von drei Tagen“ losschicken kann. Frontex wäre dann federführend zuständig, wenn ein Land - wie zuletzt Griechenland - überfordert wäre.

Die Agentur soll auch selbst Ausrüstung erwerben können, bei der Abschiebung von Asylbewerbern helfen und gemeinsame Einsätze in benachbarten Nicht-EU-Ländern machen. Damit Drittländer abgeschobene Migranten auch wirklich zurücknehmen, soll es ein Standard-Reisedokument für die Rückführung geben.

Mit der massiven Stärkung des Grenzschutzes will die EU den Flüchtlingszustrom verringern. Noch nie haben so viele Menschen illegal die Außengrenzen der EU überschritten wie in diesem Jahr: Von Januar bis November waren es laut Frontex 1,55 Millionen - fünfmal mehr als im ganzen Jahr 2014 (282 000). „Das ist fast doppelt so viel wie die Gesamtzahl in den letzten fünf Jahren“, sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans.

Der Grenzschutz-Vorschlag der EU-Kommission ruft massive Kritik hervor. Polen lehnt die Abgabe von Hoheitsrechten ab und spricht von einer „undemokratischen Struktur“. Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto sagte dem EU-Portal bruxinfo.hu, die Pläne stünden „im Gegensatz zu dem Prinzip, welches den Grenzschutz in die Kompetenz der nationalen Souveränität fallen lässt.“

Nach Angaben von EU-Diplomaten unterstützen dagegen Deutschland und Frankreich die Idee. Auch Deutschland setzt auf Grenzkontrollen und will diese laut Beschluss des CDU-Bundesparteitags in Karlsruhe gegebenenfalls intensivieren. Der deutsche Staatsminister für Europa, Michael Roth, sagte in Brüssel: „Wir brauchen eine bessere, effektivere, gemeinsame Kontrolle der europäischen Außengrenzen.“

Kritik kam von Grünen, Linken und Sozialdemokraten. Linke-Chef Bernd Riexinger kritisierte: „Die EU setzt auf Grenzschutz statt Menschenschutz. Abschotten, abschrecken, abschieben - das ist der
menschenverachtende Dreiklang der EU-Flüchtlingspolitik.“ Die Grünen-Europaabgeordneten Ska Keller sagte, die Pläne der Kommission läsen sich „wie der Weihnachtswunschzettel von Seehofer, De Maizière & Co“. Die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel warnte: „Ein starker Grenzschutz darf nicht zum Ausverkauf von Grundrechten führen.“

Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU) begrüßte den Vorstoß: „Nicht jeder, der nach Europa will, kann auch hierherkommen.“

Das Papier der EU-Kommission schlägt auch eine Änderung der Schengen-Regeln vor, um potenzielle Terroristen an der Grenze schneller zu entdecken. So sollen auch EU-Bürger an den EU-Außengrenzen systematisch kontrolliert werden. Zollbeamte könnten dann die Daten mit den Polizeidatenbanken abgleichen.

Umstritten bleibt noch, wie viele Flüchtlinge die EU-Länder aus der Türkei aufnehmen wollen, wie es jüngst im Aktionsplan vereinbart wurde. Die EU-Kommission schlägt einen Rahmen für die freiwillige Aufnahme von Syrien-Flüchtlingen aus der Türkei vor.

Beim EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag werden die Staats- und Regierungschefs auch über die Flüchtlingskrise beraten.