Euro-Klagen: Karlsruhe in der Zwickmühle
Verfassungsrichter wollen Entscheidung gründlich prüfen. Doch die Politik drängt auf schnelle Urteile.
Karlsruhe. Im Streit um die Euro-Rettungsmaßnahmen steht das Bundesverfassungsgericht wohl vor einer der schwierigsten Entscheidungen seiner Geschichte. Die Souveränität der Bundesrepublik und auch die Demokratie stünden auf dem Spiel, wenn das Gericht den ESM-Rettungsschirm und Fiskalpakt nicht verhindere, argumentierten am Donnerstag in Karlsruhe die Kläger zum Auftakt der Verhandlungen über ihre Eilanträge. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnte dagegen vor einer „erheblichen Verunsicherung der Märkte“, sollten die Gesetze nicht bald in Kraft treten.
Unter dem auf sie lastenden Druck wollen die Verfassungshüter nun offenbar einen ungewöhnlichen Weg beschreiten: Das Verfahren über die Eilanträge, die erstmal nur darauf abzielen, Bundespräsident Joachim Gauck die Unterzeichnung der Gesetze zum Rettungspaket vorerst zu untersagen, würde ausgedehnt, um bereits eine nähere Prüfung in der Sache zu ermöglichen. Das spätere Verfahren in der Hauptsache würde dafür deutlich kürzer ausfallen.
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle kündigte eine „verfassungsrechtlich vernünftige Prüfung“ der Klagen an, die über ein normales Eilverfahren hinausgehen könne. Dies könnte nach Angaben von Prozessbeteiligten bis zu drei Monate dauern. Zuvor war damit gerechnet worden, dass Karlsruhe bis Ende Juli über die Eilanträge entscheiden würde.
Hintergrund der angedeuteten Vorgehensweise ist, dass die Verfassunghüter im Fall einer Entscheidung gegen die Eilanträge bereits vollendete Tatsachen schaffen würden. Denn mit Gaucks Unterschrift würden die Gesetze völkerrechtlich verbindlich.
Karlsruhe hätte dann keine Gelegenheit mehr, später im Hauptsacheverfahren zu befinden, ob ESM und Fiskalpakt tatsächlich gegen die Haushaltsrechte der Parlamentarier verstoßen oder gar die Souveränität Deutschlands auf dem Spiel steht.
Normalerweise prüfen Richer in Eilverfahren nur die Folgen des beantragten vorläufigen Rechtsschutzes. Im konkreten Fall würden sie die Konsequenzen abwägen, die einträten, wenn sie die Eilklagen ablehnen und die Verträge in Kraft treten lassen, die Verfassungsbeschwerden in der Hauptsache aber später Erfolg hätten.
Dies wägen sie ab mit den Nachteilen, die entstünden, wenn sie den Eilanträgen stattgeben, später aber dann feststellen, dass die Gesetze doch verfassungsgemäß sind.
Doch Zeit für solch eine lange Prüfung hat das Gericht nach Ansicht der Bundesregierung nicht: Durch eine weitere Verschiebung des Rettungsschirms ESM würden die „Krisensymptome“ verstärkt — mit „nicht absehbaren Gefahren auch für die Wirtschaft“, warnte Schäuble. Die Kläger wandten sich gegen Eile.
Dass sich die Verfassungshüter im Spannungsfeld von Schnelligkeit und Genauigkeit in einem Dilemma befinden, ist ihnen klar. Zwar dürfe das Gericht den Rechtsschutz der Kläger nicht ins Leere laufen lassen, sagte Voßkuhle.
Würde aber ihren Eilanträgen in einem ordentlichen zweigeteilten Verfahren zunächst stattgegeben, hieße es „Euro-Rettung gestoppt!“ — mit unabsehbaren Folgen. Die Vorgehensweise könnte nun so aussehen, dass das Gericht in der Befassung mit den Eilanträgen bereits gründlich prüft, ob die eigentlichen Verfassungsbeschwerden gegen ESM und Fiskalpakt erkennbar Aussicht auf Erfolg haben oder nicht.