Ex-Sicherungsverwahrte: Anspruch auf Schmerzensgeld
Karlsruhe (dpa) - Vier frühere Sicherungsverwahrte haben nach Einschätzung des Karlsruher Landgerichts Anspruch auf Schmerzensgeld für zu Unrecht im Gefängnis verbrachte Jahre.
„Der Freiheitsentzug war rechtswidrig und verstieß gegen die europäische Menschenrechtskonvention“, sagte Richter Eberhard Lang am Dienstag. Damit bestehe ein Schadenersatzanspruch - unabhängig davon, wer für das geschehene Unrecht verantwortlich sei.
Mit dem Verfahren in Karlsruhe wird erstmals in Deutschland die Frage verhandelt, ob und wie viel Schmerzensgeld Straftätern zusteht, die nach ihrer verbüßten Haftstrafe zu lange in Sicherungsverwahrung waren. Die vier Männer fordern vom Land Baden-Württemberg insgesamt rund 400 000 Euro. Wieviele weitere ähnliche Fälle es in Deutschland gibt, darüber gibt es vom Bundesjustizministerium keine Zahlen. Im August 2011 hätten in Deutschland noch rund 480 Menschen in Sicherungsverwahrung gesessen, sagte eine Sprecherin.
Einen Vergleichsvorschlag des Landgerichts lehnte das Land Baden-Württemberg ab. Sein Rechtsvertreter Thomas Hannemann hatte zuvor bereits angedeutet, dass das Land Wert auf ein verbindliches Urteil lege. Dieses soll am 24. April verkündet werden. Experten erwarten jedoch, dass die Frage durch die Instanzen hindurch bis zum Bundesgerichtshof verhandelt werden wird.
Das Land sieht keine eigene Schuld. „Es war bis 2009 einhellige Rechtsauffassung, dass die rückwirkend verhängte Sicherungsverwahrung rechtmäßig ist“, betonte Hannemann. „Niemand hätte sich dem ernsthaft entgegenstellen können.“ Hintergrund des jetzigen Verfahrens ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR vom Dezember 2009. Die Straßburger Richter - und wenig später auch das Bundesverfassungsgericht - hatten entschieden, dass Sicherungsverwahrung über ein Höchstmaß von zehn Jahren hinaus rechtswidrig ist und rückwirkend nicht verlängert werden darf.
Genau das war den heute zwischen 55 und 65 Jahre alten Klägern widerfahren. Bevor ihre zehnjährige Sicherungsverwahrung ablief, ermöglichte 1998 ein neues Gesetz in Deutschland die unbefristete Sicherungsverwahrung. Die Männer blieben zwischen acht und zwölf Jahren zusätzlich in Haft. „Jegliche Möglichkeit auf Sozialisation wurde meinem Mandanten genommen“, sagte Rechtsanwalt Ernst Medecke.
Zu klären ist nun die Frage, wer für das den Männern geschehene Unrecht zahlen muss - und wieviel. Nicht nur das Land, sondern auch der Bund könne für die Zahlung von Entschädigung in Frage kommen, sagte Richter Lang. Die vier Kläger fordern zwischen rund 74 000 und 155 000 Euro. Das entspricht einem Tagessatz von 25 beziehungsweise 35 Euro pro Tag. Das Landgericht schlug etwa 500 Euro pro Monat als Vergleichssumme vor. Damit orientiere man sich an Maßgaben des EGMR, vor dem bereits ähnlich gelagerte Fälle verhandelt worden waren.