Extremismus-Bericht: Die Sorge vor Anschlägen wächst

Die Islamisten sind im Irak weiterhin aktiv. Wie groß ist die Gefahr, dass der Terror nach Europa kommt?

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Berlin. Es war am 18. März morgens um sechs, als Mehdi Nemmouche nach Deutschland kam. Mit einer Maschine aus Bangkok landete der 29-jährige Franzose, der zuvor in Syrien war, auf dem Frankfurter Flughafen. Bei der Passkontrolle winkte man ihn durch. Zwei Monate später — am 24. Mai — tauchte der selbst ernannte Gotteskrieger im Jüdischen Museum von Brüssel auf, wo er den Ermittlungen zufolge vier Menschen erschoss. Bei seiner Festnahme hatte er eine Kalaschnikow dabei, die in die Flagge der Terrorgruppe Isis (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) eingehüllt war.

Nemmouche ist einer der Gründe, weshalb Deutschlands Sicherheitsbehörden derzeit wieder größere Sorgen haben, dass auch die Bundesrepublik Ziel eines islamistischen Terroranschlags wird. Was wäre eigentlich passiert, wenn er vom Frankfurter Flughafen nicht nach Brüssel gefahren wäre? Sondern in die Innenstadt, nach München oder Berlin, wo es ebenfalls jüdische Museen gibt? Kommt der Terror von Isis jetzt nach Deutschland?

„Aus einer abstrakten Gefahr ist eine konkrete tödliche Gefahr geworden in Europa, mit Deutschland-Bezug“, meint Innenminister Thomas de Maizière. Das klingt härter als die Warnungen, an die man sich seit dem 11. September 2001 gewöhnt hat. Im neuen Verfassungsschutzbericht, der gestern vorgestellt wurde, geht es auf mehr als 60 Seiten um Islamismus und den Terrorismus, der von ihm ausgehen kann. So viele waren es in den zwölfeinhalb Jahren seit den Anschlägen in den USA noch nie.

Alles in allem gibt es nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes in Deutschland inzwischen mehr als 43 000 Islamisten. Wie viele davon mit Isis, die im Irak gerade spektakulär auf dem Vormarsch ist, sympathisieren oder gar Isis-Mitglied sind, weiß niemand genau. Die Gruppe hat im Bericht zwar ein eigenes Kapitel, doch in der Spalte Anhänger/Mitglieder heißt es nur: „Keine gesicherten Zahlen.“ Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen spricht aber von einer „erheblichen Gefahr“ für die innere Sicherheit.

Besonders große Sorgen bereiten die sogenannten Rückkehrer. Von mehr als 320 Dschihadisten, die nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 aus Deutschland nach Syrien gereist sind, sollen etwa hundert wieder zurück sein. Bei etwas mehr als einem Dutzend sind sich die Behörden sicher, dass sie gekämpft haben, die meisten davon in den Reihen der Isis. Auch jetzt im Irak sollen deutsche „Gotteskrieger“ dabei sein.

Konkrete Hinweise auf einen Anschlag in Deutschland hat der Verfassungsschutz nach eigenen Angaben nicht. Auf Isis-Terrorzellen hierzulande gibt es ebenfalls keine Hinweise. Die Experten sind sich auch noch nicht einig, ob die Gotteskrieger-Miliz überhaupt nach dem Vorbild von Al Kaida große Anschläge im Westen plant. Zwar hat Anführer Abu Bakr al-Baghdadi Anspruch auf die Nachfolge Osama bin Ladens angemeldet. Aber das letzte Wort steht noch aus.

Nahost-Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) meint: „Wenn al-Baghdadi das wirklich will, muss er aufsehenerregende Anschläge verüben. Insofern ist das eine sehr konkrete Gefahr für uns hier in Europa.“