FDP und Wirtschaft bremsen beim Atomausstieg
Berlin (dpa) - Die FDP tritt beim Atomausstieg auf die Bremse. Bevor es eine endgültige Festlegung gebe, müssten zunächst Punkte wie Netzausbau, Stromspeicher und mehr Energieeffizienz geklärt werden, sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner am Dienstag in Berlin.
„Erst aus der Klärung dieser Sachfragen ergibt sich ein möglicher Korridor für ein Ende der Kernenergie in Deutschland.“ Aus Industrie und dem CDU-Wirtschaftsrat kommen Forderungen, sich Hintertüren beim Ausstieg offenzulassen, falls es Probleme beim Ökostrom-Ausbau gibt.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle betonte, falls sich die schwarz-gelbe Koalition auf eine Jahreszahl für das Abschalten des letzten Reaktors festlegt, müsse es klare Bedingungen geben, was auf dem Weg bis dahin zu erfüllen ist. Lindner betonte, die FDP werde sich am Überbietungswettbewerb bei den Jahreszahlen nicht beteiligen. „Wir wollen eine Energiewende, uns aber nicht von Rationalität und Realismus verabschieden.“
Die CSU hingegen hat sich bereits auf einen Ausstieg bis 2022 festgelegt und dafür die Rückendeckung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Im bayerischen Kabinett konnte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) die Jahreszahl allerdings nicht gegen den Widerstand seines Koalitionspartners FDP durchsetzen. Zudem gibt es auch in der CSU Kritiker.
Schon am Sonntag könnten die wichtigsten Punkte des Atomausstiegs bei einer Spitzenrunde im Kanzleramt festgelegt werden, am 6. Juni entscheidet dann das Bundeskabinett. Bis dahin sollen auch die Ergebnisse der von der Regierung eingesetzten Ethikkommission zum Atomausstieg vorliegen. Offen ist, ob sich die Koalition dann schon auf ein Datum oder einen Zeitkorridor für den Ausstieg festlegt.
Die Arbeiten am Gesetzespaket für die Energiewende gehen inzwischen mit Hochdruck voran. So will der Bund beim Netzausbau Kompetenzen von den Ländern an sich ziehen und bundesweit bestimmte „Trassenkorridore“ festlegen. Das geht aus einem 74-seitigen Arbeitsentwurf für ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz (Nabeg) hervor, der der Nachrichtenagentur dpa und dem „Handelsblatt“ vorlag.
Die führenden Stromnetzbetreiber sehen bei einem sofortigen Aus für bis zu acht AKW als Konsequenz aus der Katastrophe von Fukushima besonders im Winter die Gefahr großer Stromausfälle. Der Grund: Dann gibt es kaum Solarstrom - und die EU-Nachbarn können wegen eines erhöhten eigenen Bedarfs kaum noch Strom nach Deutschland liefern.
Kanzlerin Merkel will an ihrer Energiewende festhalten. Diese sei ein Kraftakt, sagte sie beim Festakt zum 20-jährigen Bestehen der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) in Berlin. „Wir sind uns alle einig, klammheimlich Atomstrom von nebenan zu holen, wäre auch nicht die Lösung.“ Es gehe daher beim Ausstieg nicht nur um blanke Jahreszahlen.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte von Merkel zur Vermeidung von Stromimporten einen Ausbau der erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarenergie. „Merkels Ausbauziel mit 35 Prozent bis 2020 ist da seltsam bescheiden“, sagte Trittin. In Bayern sind sich CSU und FDP ungeachtet der Differenzen über den Zeitpunkt des Atomausstiegs einig, dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der bayerischen Stromproduktion bis 2020 auf 50 Prozent steigen soll.
Die Wirtschaft forderte, beim Atomausstieg mit Augenmaß vorzugehen. „Es wäre gefährlich, einen starren Fahrplan zu beschließen, der keine Kontrollmechanismen für mögliche Zielabweichungen enthält“, sagte der Energieexperte des Industrieverbands BDI, Christopher Grünewald. Firmen in der Papierindustrie mit empfindlichen Maschinen hätten schon jetzt durch Netzschwankungen stundenlange Produktionsausfälle zu verkraften.
Der CDU-Wirtschaftsrat sieht viele Ungereimtheiten beim Atomausstieg. Es sei „total inkonsequent und international eine Lachnummer“, wenn in Deutschland Kernkraftwerke abgeschaltet und Atomstrom aus dem europäischen Ausland eingekauft werde.