Missbrauchsbeauftragte empfiehlt finanzielle Hilfen
Berlin (dpa) - Opfer sexuellen Missbrauchs können auf finanzielle Hilfen und Entschädigungen hoffen, auch wenn ihre Fälle schon lange verjährt sind.
Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann (SPD), empfiehlt den betroffenen Einrichtung, auf freiwilliger Basis Entschädigungen zu zahlen. Bergmann nannte keine konkreten Summen. Sie sagte aber am Dienstag bei der Vorstellung ihres Abschlussberichts in Berlin, dass sich die Entschädigung an dem gerichtlich erzielbaren Schmerzensgeld zum Zeitpunkt des Missbrauchs orientieren soll. Dies können theoretisch bis zu 50 000 Euro sein.
Die betroffenen Institutionen sollen zumindest Kosten für Therapien erstatten, die nicht von anderen Trägern wie Krankenkassen übernommen werden. Der Bund soll für Therapiekosten der Opfer aufkommen, die in Familien missbraucht wurden. Ein unabhängiges Gremium („Clearing-Stelle“) soll über die Anträge von Betroffenen entscheiden. Opferverbände begrüßten die Vorschläge. „Frau Bergmann fragt, wie wäre der Anspruch, wenn es die Verjährung nicht gäbe? Sie beschreitet damit einen Weg, der für alle Seiten gangbar ist“, sagte der Sprecher der Initiative Eckiger Tisch, Matthias Katsch, zu „sueddeutsche.de“.
Beschlossen ist damit aber noch nichts, denn die Empfehlungen gehen jetzt erst einmal an den Runden Tisch zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs. Das letzte Wort hat dann die Politik. Die Bundesregierung richtete den Runden Tisch Anfang 2010 ein, nachdem immer mehr Missbrauchsfälle in Kirchen und anderen Institutionen bekanntgeworden waren. Das Gremium mit Vertretern aus Politik, Kirchen und Verbänden soll bis Ende 2011 arbeiten. Die Missbrauchsbeauftragte ist ebenfalls noch bis Herbst erreichbar.
Bergmann erklärte, die Erstattung von Therapiekosten solle möglichst unbürokratisch geschehen. Sie erinnerte daran, dass 50 Stunden Therapie rund 5000 Euro kosten. Dies sei aber lediglich eine Richtgröße. Die Beauftragte räumte ein, dass sie noch nicht mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) über einen finanziellen Beitrag des Bundes gesprochen hat.
Die katholische Kirche hat bereits einen eigenen Weg bei der Entschädigung eingeschlagen. Sie will jedem minderjährigen Opfer sexuellen Missbrauchs bis zu 5000 Euro Entschädigung zahlen. Zudem will sie bei akutem Bedarf Kosten für eine Psychotherapie oder Paarberatung übernehmen. In besonders schweren Fällen ist sie zu zusätzlichen Leistungen bereit. Opfervertreter hatten diese Beträge aber als viel zu niedrig kritisiert.
Nach einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa läuft die Entschädigung allmählich an. Von den seit März bei der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn gestellten 400 Anträgen seien in 180 Fällen Empfehlungen ausgesprochen worden, sagte ein Sprecher. Der Jesuitenorden hat bislang 10 der bundesweit 25 bis 30 gestellten Anträge bearbeitet. Hier stehe eine Auszahlung kurz bevor, sagte Ordenssprecher Thomas Busch in München. Wie viel Anträge bei der ebenfalls von Missbrauchsfällen betroffenen Odenwaldschule (Hessen) und dem Kloster Ettal in Bayern eingegangen sind, ist noch nicht klar. Die evangelische Landeskirche Hannover will die Ergebnisse eines Runden Tisches abwarten.
Die Kirchen dringen auf eine schnelle Entschädigung für frühere Heimkinder, die in den Einrichtungen bis in die 70er Jahre hinein vielfach geschlagen und zu unbezahlter Arbeit gezwungen wurden. Der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke, sagte bei der Vorstellung einer Studie in Bochum, die Kirchen hätten Vorsorge getroffen, ihr Drittel zu dem 120-Millionen-Opferfonds zu zahlen, den der Runde Tisch Heimerziehung in Berlin Ende 2010 vorgeschlagen hat.
Bergmann appellierte, dass das Thema sexueller Missbrauch mit ihrem Abschlussbericht nicht erledigt sein dürfe. Es gebe noch viel zu tun: „Wir haben unser Bestes getan, aber es müssen noch sehr viele ihr Bestes tun, damit wir mit dem Thema weiterkommen.“