Merkel steuert auf schnellen Atomausstieg zu
Berlin/Andechs (dpa) - Nach der CSU peilt auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einen Atomausstieg um das Jahr 2022 herum an. Die CDU-Chefin begrüßte die entsprechende Festlegung der Schwesterpartei.
Sie sprach am Samstag bei einer CSU-Klausur in Bayern vom „richtigen Zeitraum“, ließ aber eine konkrete Jahreszahl offen. Die Kanzlerin will erst die Ergebnisse der Ethikkommission abwarten. Unterdessen gibt es Sorge, dass die vorübergehende Abschaltung eines Großteils der 17 deutschen Atomkraftwerke die Stromversorgung gefährden könnte. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, beruhigte aber: „Die Lage ist kritisch, aber dennoch beherrschbar.“
Für rund eine Woche liefern nur noch vier der 17 Atommeiler Strom. Neben den im Rahmen des Atommoratoriums stillstehenden acht AKW und vier weiteren wegen Wartungsarbeiten abgeschalteten Anlagen soll an diesem Wochenende auch das RWE-Kernkraftwerk Emsland bei Lingen für drei Wochen vom Netz gehen. Der RWE-Konzern begann am Samstag damit, die Stromerzeugung herunterzufahren. Nach der Abschaltung liefern nur noch Isar II und Gundremmingen C (Bayern), Brokdorf (Schleswig-Holstein) und Neckarwestheim II (Baden-Württemberg) Atomstrom. Da Gundremmingen B um den 26. Mai herum wieder ans Netz gehen soll, wird der bisher einmalige Engpass rund eine Woche andauern.
Nach Einschätzung des energiepolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion, Klaus Breil, könnte es zu Engpässen bei der Stromversorgung kommen. „Die Lage ist sehr angespannt“, sagte er am Samstag. „Wenn die Wetterlage nicht mitspielt und wenn der Bedarf besonders hoch ist, kann es sein, dass es knapp wird.“ Er sei aber „verhalten optimistisch“, dass die Situation beherrschbar bleibe und Industrieunternehmen keine Anlagen abschalten müssten. Bundesnetzagentur-Chef Kurth sagte der „Passauer Neuen Presse“ (Samstag), die Netzbetreiber seien vorbereitet und steuerten gegen.
Zudem liege der Stromverbrauch derzeit nicht auf Spitzenniveau. Mit viel Sonnenschein könne viel Solarenergie produziert werden, sagte Kurth. Der Vize-Fraktionschef der SPD-Fraktion, Ulrich Kelber, sagte der dpa: „Wir haben keinen Kapazitätsengpass.“ Man müsse aber darauf achten, dass in den jeweiligen Netzen genügend Strom sei. Das sei Aufgabe der Netzbetreiber. „Sie sagen, es ist beherrschbar“. Spekulationen über einen drohenden Blackout bezeichnete er als „hochgradig unseriös“.
Unterdessen diskutiert die Politik über den passenden Zeitpunkt für einen Atomausstieg. Am Freitagabend hatte die CSU als erste der drei Berliner Koalitionsparteien ein konkretes Datum gesetzt - das Jahr 2022. Parteichefs Horst Seehofer setzte sich damit gegen die Gegner eines schnellen Atomausstiegs in der CSU durch. Die Kritiker des schnellen Ausstiegs argumentieren mit der Befürchtung steigender Strompreise und sinkender Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Skepsis gibt es auch beim Wirtschaftsflügel der Union.
SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel warf der schwarz-gelben Bundesregierung Konzeptionslosigkeit beim Atomausstieg vor. Die Festlegung der CSU auf ein Ausstiegsdatum bis 2022 zeige das „Zielinferno“ in der Union, sagte Gabriel am Samstag in Saarbrücken: „Die Bundesregierung ist völlig zerstritten.“ Gabriel unterstrich, dass die SPD ein Abschalten aller Kernkraftwerke in Deutschland zwischen 2015 und 2020 für möglich halte. Er warf der Kanzlerin erneut vor, bei den Gesprächen mit den Kraftwerksbetreibern über den Atomausstieg den Bundestag nicht ausreichend einzubinden: „Merkel ist das Hinterzimmer wichtiger als das Parlament.“
Linke-Chefin Gesine Lötzsch forderte einen Atomausstieg schon bis 2014. Die Grünen warfen Merkel vor, in der Atomausstiegs-Debatte „einen Schritt vor anzudeuten und drei zurück zu marschieren“. Fraktionschef Jürgen Trittin sagte: „Ein Atomausstieg 2022 möglichst mit Revisionsklauseln ist nichts weiter als das Bemühen, sich doch noch eine Hintertür offen zu halten. Das werden wir ihr nicht durchgehen lassen.“ Ein konsequenter Ausbau der erneuerbaren Energien und der Infrastruktur ließen technisch und auch rechtlich einen Ausstieg bis spätestens 2017 zu. „Schon jetzt zeigt sich: Nur noch vier AKW in Deutschland laufen - und der Weltuntergang findet nicht statt.“