Energiekrise Forderungen nach längeren AKW-Laufzeiten

Berlin · Der Streit um die weitere Nutzung der Atomkraft in Deutschland tobt weiter. Ein Arbeitgeberverband will besonders weit gehen. Streit gibt es auch um die umstrittene Fracking-Methode.

Wasserdampf steigt aus dem Kühltum vom Atomkraftwerk (AKW) Isar 2.

In der Debatte um längere Laufzeiten von Atommeilern in Deutschland wollen die CSU und die Industrie den Druck auf die Ampel-Regierung erhöhen. Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, sprach sich am Wochenende für einen Weiterbetrieb der drei in Deutschland noch laufenden Atomkraftwerke aus - er will auch über den Bau neuer Reaktoren reden.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hält verlängerte Laufzeiten von Meilern um mehrere Jahre für möglich. Auch andere Politiker von Union und FDP forderten längere Laufzeiten, um kurzfristig mögliche Stromengpässe im Winter im Zuge des Ukraine-Kriegs zu überbrücken.

Vor allem die in der Ampel mitregierenden Grünen tun sich aber schwer mit dem Thema. Sie hatten im Programm zur Bundestagswahl 2021 versprochen: „Wir werden den Atomausstieg in Deutschland vollenden.“ Sollte sich eine Notsituation abzeichnen, schlossen mehrere Grünen-Politiker aber bereits einen „Streckbetrieb“ mit den vorhandenen Brennelementen noch laufender Atomkraftwerke nicht aus.

Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang erteilte einem Wiedereinstieg in die Atomkraft eine Absage. Sie sagte am Sonntag im ZDF-Sommerinterview mit Blick auf Aussagen von Finanzminister Christian Lindner (FDP), wonach Atomkraftwerke bis 2024 notfalls am Netz bleiben müssten: „Das, was Christian Lindner da will, ist nichts anderes als der Wiedereinstieg in die Atomkraft. Und das wird es mit uns auf jeden Fall nicht geben.“

Gesamtmetall-Chef will Debatte über Bau neuer Atommeiler

Gesamtmetall-Präsident Wolf sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, er halte eine längere Laufzeit für absolut notwendig. So könne man die Verstromung von Gas deutlich reduzieren und dazu beitragen, die Stromversorgung zu sichern, wenn kein Gas mehr zu Verfügung stehe. „Wir müssen aber auch eine Debatte über den Bau von neuen Atomkraftwerken führen“, sagte er. „Weltweit werden derzeit 50 neue Atomkraftwerke gebaut, die Technik hat sich weiterentwickelt.“

Dobrindt forderte in der „Welt am Sonntag“ eine Entscheidung zur „Vernunft-Energie“. Mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin sagte er: „Wir werden uns noch lange Zeit Putins brutalem Versuch, den Westen durch Energieterror zu destabilisieren, ausgesetzt sehen. In dieser Lage sind Laufzeitverlängerungen für die Kernkraft von mindestens weiteren fünf Jahren denkbar.“

Noch drei AKW in Betrieb - Stresstest angeordnet

Aktuell sind noch drei Atomkraftwerke in Deutschland am Netz: Emsland in Niedersachsen, Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg. Sie sollen laut Gesetzeslage aber Ende 2022 abgeschaltet werden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ordnete einen neuen Stresstest zur Stromversorgung an. Ergebnisse sollen laut Ministerium in den nächsten Wochen vorliegen.

Der Hintergrund: Erdgas, das knapp zu werden droht, wird tatsächlich vor allem zum Heizen eingesetzt. Es trägt aber auch rund zehn Prozent zur Stromproduktion in Deutschland bei. Wenn man länger auf Atomenergie setzen würde, könnte man also mehr Gas zum Heizen nutzen.

CSU-Chef Söder als „Problembär der Energieversorgung“?

Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) hält zur Klärung der Grünen-Position zu längeren AKW-Laufzeiten einen Parteitag für nötig, wie er dem „Tagesspiegel“ sagte. Er selbst sprach sich klar gegen eine Verlängerung aus. Er betonte, auch ein Streckbetrieb sei eine Laufzeitverlängerung.

Die Grünen verweisen darauf, dass es eine besondere Lage in Bayern geben könnte. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ mit Blick auf Isar 2: „Wenn der Stresstest ergibt, dass Bayern tatsächlich ein ernsthaftes Strom- bzw. Netzproblem haben könnte, dann werden wir diese Situation und die dann bestehenden Optionen bewerten.“ Ähnlich äußerte sich Grünen-Co-Chef Omid Nouripour. Er sagte der Mediengruppe Bayern: „Wenn es Nachbesserungsbedarf gibt, werden wir anhand der Fakten über weitere Maßnahmen sprechen.“ Der Stresstest sei vor allem nötig, weil die Lage in Bayern so angespannt sei, sagte Nouripour. „Markus Söder ist der Problembär der Energieversorgung in Deutschland und hat in Bayern den Ausbau der Erneuerbaren stark ausgebremst.“

Bayerns Ministerpräsident Söder entgegnete auf Twitter, der Freistaat liege mit 53 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien erheblich über dem Bundesdurchschnitt. Der CSU-Chef sprach sich in der „Süddeutschen Zeitung“ dafür aus, die Nutzung einheimischer Gasressourcen durch die Fracking-Methode zu prüfen. „Vor allem in Niedersachsen gibt es nach Ansicht von Experten große Erdgasfelder“, sagte er. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil reagierte empört. „Geht's noch?!“, fragte der SPD-Politiker via Twitter. „Lieber Markus Söder, wie wär's endlich mit Windkraft in Bayern?“

Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang schrieb auf Twitter, sinnvoller als Fracking im Norden wäre Windkraft in Bayern. „Doch dafür müsste Markus Söder endlich bereit sein, sich an Lösungen zu beteiligen. Das ist natürlich anstrengender als Ablenkungsmanöver.“ Beim in Deutschland verbotenen Fracking wird Gas oder Öl mit Hilfe von Druck und Chemikalien aus Gesteinsschichten herausgeholt, was Gefahren für die Umwelt birgt.

Bundesamt gegen Laufzeitverlängerungen

Der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, Wolfram König, lehnt verlängerte Laufzeiten von Atomkraftwerken in Deutschland ab. Er sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“: „Der mühsam errungene gesellschaftliche Konsens würde auch grundsätzlich infrage gestellt werden.“

Nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 hatte der Bundestag den Atomausstieg bis 2022 beschlossen. SPD und Grüne - damals in der Opposition - unterstützten den Kurs der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

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(dpa)