Chancen-Aufenthaltsrecht Kabinett beschließt Bleibeperspektive für langjährig Geduldete
Berlin · Was wird aus Ausländern, die zwar keinen regulären Aufenthaltstitel haben, aber dennoch - aus unterschiedlichen Gründen - schon seit Jahren in Deutschland leben? Die Ampel-Koalition will ihnen eine neue Chance geben. Scharfe Kritik kommt aus der Union.
Die Bundesregierung will Tausenden von Ausländern, die seit Jahren ohne gesicherten Aufenthaltstitel in Deutschland leben, eine langfristige Bleibeperspektive eröffnen. Dafür hat das Kabinett ein sogenanntes Chancen-Aufenthaltsrecht beschlossen.
Es soll für Menschen gelten, die zum Stichtag 1. Januar 2022 seit mindestens fünf Jahren in Deutschland gelebt haben und sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen.
Der Gesetzentwurf aus dem Haus von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zielt auf Ausländer ab, die sich seit Jahren von Duldung zu Duldung hangeln. Wer mehrfach falsche Angaben gemacht oder über seine Identität getäuscht hat, um seine Abschiebung zu verhindern, soll von der Möglichkeit nicht profitieren. Auch Straftäter sind ausgenommen. Diejenigen, die von dem neuen Paragrafen im Aufenthaltsrecht profitieren sollen, haben laut Entwurf drei Jahre Zeit, um eine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen.
„Brücke in ein besseres Leben“
„Für rund 135.000 Menschen ist das die Brücke in ein besseres Leben in Deutschland, für mehr Menschlichkeit statt Misstrauen im Aufenthaltsrecht“, sagt die Integrationsbeauftragte der Regierung, Reem Alabali-Radovan (SPD). „Mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht ermöglichen wir Perspektiven für Menschen, die bereits Teil unserer Gesellschaft sind, und schaffen die entwürdigenden Kettenduldungen endlich ab“, heißt es von der Grünen-Bundestagsfraktion.
Scharfe Kritik kommt aus der Union, die von 2005 bis 2021 durchgehend den Bundesinnenminister gestellt hatte. „Die Ampel schafft mit dem Gesetzentwurf massive zusätzliche Anreize, illegal nach Deutschland einzuwandern“, sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz. „Die Menschen in den Herkunftsländern wissen doch vielfach gar nichts von einer Stichtagsregelung, sondern bekommen nur mit, dass ihr Verwandter oder Bekannter dauerhaft in Deutschland bleibt“, vermutet die CSU-Politikerin. Manche, die besser informiert seien, dürften auf eine erneute Sonderregelung in der Zukunft hoffen.
Mit der Neuregelung „korrigieren wir die jahrelangen Versäumnisse von CDU und CSU und erkennen die Realitäten in diesem Land an“, sagt der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann. Außerdem sei es unverständlich, „wenn wir gut integrierte Menschen in ihr Heimatland zurück schicken, um dann mühsam die hier dringend benötigten Arbeitskräfte im Ausland anzuwerben“.
Der neue Aufenthaltstitel soll für ein Jahr gelten. In dieser Zeit erhält der Ausländer Gelegenheit, die Voraussetzungen für einen langfristigen Aufenthalt zu erfüllen: das sind vor allem die Sicherung des Lebensunterhalts, Deutschkenntnisse und der Identitätsnachweis. Gelingt ihm das nicht, rutscht er entweder zurück in die Duldung oder wird - falls dafür Voraussetzungen vorliegen sollten - abgeschoben.
Und noch eine Änderung beinhaltet der Entwurf: Bislang konnten gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende im Alter von bis zu 21 Jahren nach vier Jahren Aufenthalt ein Bleiberecht erhalten. Das soll künftig schon nach drei Jahren möglich sein. Die Altersgrenze steigt zudem auf 27 Jahre.
Bundestag muss noch zustimmen
Bevor das geänderte Aufenthaltsrecht in Kraft treten kann, muss zwar noch der Bundestag zustimmen. Aus Sicht von Pro Asyl sollten die Behörden der Länder allerdings jetzt schon niemanden mehr abschieben, der nach der Neuregelung eine Aufenthaltserlaubnis beantragen könnte.
Teil dieses ersten Migrationspakets der Ampel-Koalition ist außerdem eine Verlängerung der Abschiebehaft für bestimmte Straftäter von drei Monaten auf maximal sechs Monate. Das soll den Behörden mehr Zeit geben, eine Abschiebung vorzubereiten, etwa die Identität zu klären, fehlende Papiere zu beschaffen und einen Platz in einem Flugzeug zu organisieren.
Die Union begrüßt diese Änderung zwar grundsätzlich. „Sie dürfte aber nur wenige Fälle betreffen“, schätzt Lindholz. Sie sagt: „Die Regelung wirkt wie ein Feigenblatt, um die Untätigkeit der Ampel beim Thema Rückführungen zu verdecken.“ Der FDP-Innenpolitiker Stephan Thomae mahnt, um bei Abschiebungen voranzukommen, solle jetzt endlich ein Sonderbevollmächtigter eingesetzt werden, der sich um Rückführungsabkommen mit den Herkunftsländern kümmert. Auch das hatten SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart.
Erleichterungen für Fachkräfte und IT-Spezialisten
Künftig soll für Fachkräfte und IT-Spezialisten auch der Familiennachzug erleichtert werden. „Die Familien dürfen gleich mit einreisen und wir knüpfen daran auch keine besonderen Sprachkenntnisse“, erklärt Faeser. Clara Bünger, Migrationsexpertin der Linken im Bundestag, ist enttäuscht, dass dies vorerst nur für Fachkräfte gelten soll. Sie sagt: „Das Recht auf Familienleben ist ein Menschenrecht und kein Privileg für Besserverdienende.“
Auch beim Zugang zu Sprach- und Integrationskursen sind Änderungen vorgesehen: Künftig sollen alle Asylbewerber daran teilnehmen dürfen - unabhängig davon, ob ihr Antrag auf Schutz in Deutschland aussichtsreich ist oder nicht. „Unsere Werte und unsere Sprache zu vermitteln, ist immer wichtig, auch wenn Menschen nur vorübergehend in Deutschland sind“, findet die Bundesinnenministerin.
Vor Jahresende will die Ampel-Koalition weitere Reformen zur Migration auf den Weg bringen. Im Koalitionsvertrag sind unter anderem Erleichterungen bei der Einbürgerung für Menschen aus der sogenannten Gastarbeiter-Generation sowie die Einführung einer „Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems“ für die Arbeitsmigration vereinbart. Die Integrationsbeauftragte sagt: „Heute setzen wir den ersten Meilenstein, im Herbst werden weitere folgen: Wir wollen Beschäftigungsverbote abschaffen, unser Einwanderungsrecht modernisieren und mehr Einbürgerungen ermöglichen.“