Gabriel beim Tempolimit um Schadensbegrenzung bemüht
Berlin (dpa) - Auch weiterhin freie Fahrt für freie Bürger: Nach dem Sturm der Entrüstung gibt Sigmar Gabriel in Sachen Tempolimit klein bei. Die Grünen wollen den SPD-Chef allerdings beim Wort nehmen.
Nach seinem auch innerparteilich umstrittenen Vorstoß für Tempo 120 auf Autobahnen bemüht sich Gabriel um Schadensbegrenzung. „Bei der Bundestagswahl geht es um andere Fragen als das Tempolimit. Das gilt sowieso schon auf den meisten Strecken“, räumte Gabriel im Gespräch mit der „Bild“-Zeitung (Freitag) ein. „Sicherheit braucht Vorfahrt, mehr wollte ich nicht sagen.“
Neben Union, FDP und der Autolobby hatte auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück Gabriels Vorstoß für eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 Stundenkilometern auf Autobahnen abgelehnt. Die Debatte zu dem Thema laufe nun schon seit rund 20 Jahren. „Ich sehe keine Veranlassung, sie zu aktivieren“, betonte Steinbrück. Die Grünen als Wunschkoalitionspartner der SPD wollen Gabriel dagegen auf das Thema Tempolimit festnageln.
Gabriel hatte seinen Vorschlag mit der Sicherheit auf Autobahnen begründet. „Tempo 120 auf der Autobahn halte ich für sinnvoll, weil alle Unfallstatistiken zeigen, dass damit die Zahl der schweren Unfälle und der Todesfälle sinkt“, sagte der SPD-Vorsitzende der „Rheinischen Post“. „Der Rest der Welt macht es ja längst so.“
Die Forderung nach einem solchen Tempolimit steht zwar im Programm der Grünen für die Bundestagswahl, aber nicht im „Regierungsprogramm“ der SPD. „Wenn der SPD-Parteichef für ein generelles Tempolimit wirbt, ist schon mal ein Streitpunkt bei rot-grünen Koalitionsverhandlungen ausgeräumt“, sagte der Grünen-Verkehrsexperte Anton Hofreiter der Zeitung „Die Welt“. Auch mehrere Umweltverbände sprachen von einem richtigen Signal.
In der SPD-Bundestagsfraktion, aber auch in den Ländern wurde dagegen Unverständnis über Gabriel geäußert. „Tempolimits sind kein Selbstzweck. Auf Autobahnen sehe ich im Hinblick auf den Stand und die Qualität des Autobahnausbaus keine Notwendigkeit für ein generelles Tempolimit“, sagte Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der „Neuen Westfälischen“ aus Bielefeld.
Die SPD-geführte Landesregierung von Nordrhein-Westfalen sieht vielmehr sanierungsbedürftige Brücken und Straßen als Herausforderung für die Verkehrspolitik. „Über Tempolimits denke ich nach, wenn wir den Investitionsstau hinter uns gelassen haben“, sagte NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) der „Rheinischen Post“ aus Düsseldorf.
Auch Union und FDP bekräftigten ihr Nein zu einem Tempolimit. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erklärte: „Rot-Grün ist weiter auf dem Weg in die Bundes-Verbots-Republik Deutschland. Bei Wirtschaft und Arbeit auf der Bremse, beim Abkassieren und Bevormunden auf dem Gaspedal.“ Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte der „Leipziger Volkszeitung“ (Freitag): „Das ist alte Politik. Es gibt heute moderne, intelligente Verkehrsleitsysteme. Dafür bin ich.“
Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) verwies darauf, dass es auf knapp 40 Prozent der rund 12 800 Autobahnkilometer schon jetzt dauerhafte oder zeitweise Tempolimits gebe. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte, die Regierung plane kein Tempolimit. FDP-Politiker nannten eine Tempobegrenzung Gängelei und Schikane.
Die Autofahrerlobby lehnte Gabriels Position im Grundsatz ab. 2011 seien 31 Prozent des Verkehrs über Autobahnen gerollt, aber nur 6 Prozent der Unfälle mit Verletzten seien dort geschehen, argumentierte der ADAC-Vizepräsident für Verkehr, Ulrich Klaus Becker. Die Zahl der Getöteten auf Autobahnen bezogen auf die gefahrenen Kilometer liege niedriger als in Österreich, wo ein Limit von 130 gelte, so der ADAC.
Der Unfallforscher Siegfried Brockmann sagte dem dpa-Audiodienst, Autobahnen seien zwangsläufig die sichersten Straßen, weil es keine Radfahrer, Fußgänger und Kreuzungen gebe. „Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen.“ In umliegenden Ländern seien Verkehrsstandards, Infrastruktur und Mentalitäten oft andere, weshalb Zahlenvergleiche immer schwierig seien. „Entscheidend ist doch, dass wir eine Reihe von schweren Unfällen sehen, die auf hohe Geschwindigkeiten zurückzuführen sind.“ Daher sei die Debatte sehr sinnvoll.